Grüne Bohnen, Rote Beete, lila Kühe…

Erinnerung und Appell an die Bäuerin und den Bauern – in uns.


Wir waren alle Bauern. Das ist zwar lange her, aber auch nicht so lange, dass sich nicht zumindest viele Boomer noch an Großeltern erinnern könnten, die Bauern waren.

Deutliche Spuren sind jedoch noch in Dörfern und Städten zu sehen. Selbst in deutschen Mittelgroßmetropolen wie Stuttgart steht noch das ein oder andere Bauernhaus, die von Winzern ohnehin. Mehr Bauernhäuser gibt es noch in den Dörfern der „Speckgürtel“, soweit nicht bereits zügig fortschreitend durch Mehrfamilienhäuser ersetzt. Mehrfamilienhäuser sind das deutlichste Symbol der Urbanisierung und stehen für das Ende des Ländlichen.

Dessen leere Hüllen bestimmen fernab der städtischen Speckgürtel noch immer die Dörfer. Dort ist gefühlt jedes Haus ein Bauernhaus. Oder das Bauernhäuschen einer Kleinbauernfamilie, die auf engem Raum und wenig Grundbesitz eher ärmlich lebte.

Das alles steht leer. Leere Häuser, leere Ställe, leere Scheunen. Selbst in den „Aussiedlerhöfen“, ebenso wie die „Gebietsreform“ in Baden-Württemberg einer der Megairrtümer der 1970er-Jahre, gibt es kaum noch echtes bäuerliches Leben.

Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Deutschen Bauernverbands (DBV) nannte Anne Kokenbrink in der FAZ1 die Zahlen: „1950 gab es in der damaligen Bundesrepublik zwei Millionen Bauernhöfe, 2022 noch 256.000. Das Pferd vor dem Pflug verschwand…“ – dies sei das Ende jahrhundertelanger Familiengeschichten.

Es ist mehr: Es ist das Ende einer jahrtausende alten Tradition. Ein Kulturbruch, wie ihn die Menschen in Deutschland wohl noch nie erlebt haben. Schwer, das mit irgendetwas zu vergleichen. Vielleicht damit: Angenommen, es lösten sich 90 Prozent aller Sportvereine und Fitnessstudios auf und wir würden aufhören uns zu bewegen. Oder es schlössen 90 Prozent aller Schulen, Universitäten und Bibliotheken und wir würden aufhören, zu lesen. Demnächst lösen sich 90 Prozent aller Gesangvereine auf – das ist so ähnlich.

Witzig, dass am Tage des Erscheinens des FAZ-Artikels der Spiegel2 titelte: „Wie die Deutschen das Kochen verlernten“. Genau! Aber genau genommen, ist das mit dem Kochen schon Schritt zwo. Schritt eins lautet: Die Deutschen verlernen das Ackern.

Und damit jeglichen Bezug zur Scholle und zum damit Verbundenen: zu den Jahreszeiten (Tomaten und alles das ganze Jahr über – Saisongemüse??), zum Wetter (Hauptsache schön – „Wie, die Frühjahrsaussaat braucht Regen??“), zu den verschiedenen Sorten und Arten (Gewürzluiken??) und überhaupt können viele Stadtkinder kaum noch etwas mit Grünen Bohnen und Roter Beete anfangen – aber dafür mit lila Kühen.

So geht es nicht weiter.

Immer größere Flächen und und stärkere Traktoren3 sind auch keine Lösung. Wir brauchen eine Zeitenwende. Und zwar wenigstens auf diesem Feld eine richtige. Von der Zeitenwende, die der Kanzler bei der Landesverteidigung ausgerufen hat, ist ja nicht viel zu sehen.

Wir brauchen eine neue Agenda für die Landwirtschaft. Hier ein paar Vorschläge.

Erstens. Eine neue Relevanzdebatte, anzustoßen von Deutschen Ethikrat. Was hatten wir da nach der Finanzkrise von 2007/2008 für seltsame Vorstellungen! Hinweis: Ganz oben auf der Relevanzliste ist alles, was mit dem Aufrechterhalten von Demokratie und staatlicher Ordnung zu tun hat: Verwaltung, Polizei, Bundeswehr… Tja, und als nächstes kommt schon die Landwirtschaft zum Sicherstellen der Ernährung, etwa gleichauf mit Strom- und Wasserversorgung sowie dem Gesundheitswesen. Alles andere folgt später.

Zweitens. Eine Aufwertung des Berufs. Nicht „Bauer sucht Zukunft“, sondern „Zukunft sucht Bauern“. Die Aktion „#Zukunftsbauer“ des DBV4 geht in die richtige Richtung.

Drittens. Bäuerliche Startups anstoßen, ermöglichen und fördern. Leider bezieht sich der Begriff fast nur auf Computer- und Finanztechnologie – Investoren fördern nahezu jeden technischen Schnickschack mit Milliarden. Warum nicht Flächen aufteilen und gezielt kleine Betriebe von Leuten fördern, die Ideen haben? Die sich zum Beispiel auf Löwenzahn konzentrieren wollen. Oder die Methoden, wie Agroforstsysteme5 wiederbeleben wollen. Oder solidarische, inklusive Landwirtschaft.

Viertens. Bauernhöfe als Schullandheime – Ferienbauernhöfe, auf denen Kinder ernsthaft mitackern können. Vielleicht auch ein Geschäftsmodell.

Fünftens. Den Lebensmitteleinzelhandel umbauen. Die Handvoll großer Konzerne sind Haupttreiber der Industrialisierung der Landwirtschaft und des ruinösen Preisverfalls für landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Sechstens. Gemeinschaftliche Landwirtschaft fördern – und sei es auf ganz kleinen Flächen (vgl. 3). Vielleicht weckt das die Bäuerin oder den Bauern – in uns.

 

 

 

Foto: W. R. Wagner / pixelio.de

1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.09.2023: „Bauer sucht Zukunft“

2 Der Spiegel, 54/2023: „Wie die Deutschen das Kochen verlernten“

3 Ein Fendt Dieselross F12 aus dem Jahr 1948 hatte 12 PS, das Topmodell 724 Vario hat 240 PS. Kaum vorstellbar, dass sich das in zwei Generationen noch einmal verzwanzigfacht – 4800 PS?

4 DBV-Themendossier #Zukunftsbauer
https://www.bauernverband.de/themendossiers/zukunftsbauern

5 Über Agroforstsysteme und vieles mehr zum Thema Wald
gibt es bei www.waldfreund.in