Verfolgt man die Mindestlohndebatte, entsteht der Eindruck, es kommt eine ganz große Wirtschaftskatastrophe auf uns zu.
Dieses Interview ist nur ein Beispiel. Sven Astheimer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befragt den Spargelbauern Peter Lipp aus Südhessen (Titel: Der Mindestlohn macht mir Angst).
A: Wie ist die Saison für Sie gelaufen?
L: Wir sind zufrieden und kommen über die Runden. Aber was in Zukunft passieren wird, das kann ich nicht sagen.
Stopp! Es reicht schon!
Mal abgesehen davon, dass niemand sagen kann, was in Zukunft passieren wird, ist dieses Herbeireden einer unheilschwangeren Stimmung ein Witz. Denn es geht nur um ein paar Cent. Für den Interviewer ist das die (ziemlich holprige) Überleitung zum Thema Mindestlohn.
A: Was würde es für Sie bedeuten, wenn es keine Ausnahmen für die Landwirtschaft oder Saisonarbeiter geben sollte?
L: Wir zahlen jetzt 7,20 Euro in der Stunde. Dazu kommen Zuschläge, die sich nach der Erntemenge richten. Wenn der Mindestlohn so kommt, wie man es hört, dann müssten die Preise für Spargel spürbar steigen.
A: Was kostet das Kilo bei Ihnen zurzeit?
L: In der Klasse IV etwa 3,40 Euro, in der Klasse I ungeschält 8,80 Euro. Wir würden dann in die Bereiche von 10 Euro je Kilo kommen.
Spürbar steigen?
10 Euro?
Da nun ein paar Zahlen auf dem Tisch liegen, kann man ja mal nachrechnen.
Stiege der Lohn von 7,20 Euro (Zuschläge nicht gerechnet) auf 8,50 sind das 1,30 Euro. Die Leistung eines Erntehelfers beträgt zwischen 3 und 5 Kilo pro Stunde. Mit 4 Kilo gerechnet würde das Kilo Spargel durch den Mindestlohn um 32,5 Cent teurer.
In der teuersten Klasse kostet der Spargel, Direktverkauf unterstellt und ohne Umsatzsteuer (7 Prozent), 8,22 Euro. Dieser Preis stiege durch den Mindestlohn auf 8,55 Euro. Mit der Steuer müsste der Verbraucher dann 9,15 Euro pro Kilo bezahlen, 35 Cent mehr als bisher.
Ist das viel?
Ist das wenig?
Das ist relativ.
Auf jeden Fall ist es noch weit weg von 10 Euro und würde den wahren Spargelliebhaber kaum vom Kauf abhalten. Es gibt also wenig Anlass für Befürchtungen aller Art.
Auch an der von Lipp geäußerten Befürchtung, die Produktion könne abwandern, ist wenig dran.
Wenn der peruanische Spargelbauer laut Lipp pro Kilo tatsächlich nur 1,25 Euro (wörtlich sagt Lipp, der peruanische Spargel koste hier zwischen zwei und drei Euro, wir haben 50 Prozent Handelsspanne unterstellt, schließlich gibt es hier keinen Direktverkauf, außerdem ist es ja nicht ganz billig, den Spargel nach Deutschland zu schippern) oder weniger bekommt, wird es Konkurrenz aus Peru immer geben, wollen wir die Märkte nicht ganz abschotten. Da ist es unerheblich, ob der Spargel hier 8,80 oder 9,15 Euro kostet.
Mit niedrigen Löhnen (wobei es ja nur die Differenz zwischen 7,20 und 8,50 Euro ist) ist es noch nie gelungen, einen bestimmten Industriezweig im Lande zu halten.
Wobei, das sei am Rande bemerkt, aber die Komplexität solcher Themen führt zu weiteren Zusammenhängen, ist ja nicht der peruanische Spargelbauer die treibende Kraft. Die treibende Kraft, sind die hiesigen Importeure,
die im Kosten-/Preisunterschied zwischen Deutschland und Peru eine riesige Gewinnchance sehen, die sich durch den Mindestlohn nur ein klein wenig vergrößert. Das ist nun mal Marktwirtschaft, wenn man so will.
Auch den Saison- oder Ökoeffekt könnte man noch bedenken. Dann taucht die Frage auf, ob man im Herbst, Peru liegt ja auf der Südhalbkugel und arbeitet daher wahrscheinlich jahreszeitlich entgegengesetzt, in Deutschland Flugspargel essen muss, womöglich noch mit Flugerdbeeren.
Für den peruanischen Spargelbauern sind wir indessen ein prima Exportmarkt. Und das Land, das selbst als Exportweltmeister auf offene Märkte angewiesen ist, sollte daran auch gar nichts ändern wollen.
Abgesehen davon, ist es auch die bessere Entwicklungshilfe, den peruanischen Spargelbauern hier eine Exportchance zu eröffnen.
Auch wenn das zu Lasten von Leuten wie Peter Lipp geht, das ist nun mal Marktwirtschaft und internationale Arbeitsteilung.
Nur: Mit dem Mindestlohn hat das alles recht wenig zu tun.
Dennoch sehen sich auch viele andere Branchen schon am Rande des Ruins:
Die Gastwirte fürchten um ihre Gäste, wenn sie im Service den Mindestlohn bezahlen müssen.
Die Zeitungsverleger fürchten sogar das Ende der Pressefreiheit, wenn sie den Austrägern den Mindestlohn bezahlen müssen.
Ganz fürchterlich wäre es, wenn Jugendliche und Langzeitarbeitslose nun auch 8,50 Euro erhielten.
Daher hat man nun schon so viele Ausnahmeregelungen erlassen, dass die Katastrophe keine Chance hat.
Man könnte es aber auch so sehen: Je mehr Leute anständig verdienen, desto mehr können sich den Spargel des Peter Lipp leisten. Vielleicht schrammt wenigstens er so knapp an der Katastrophe vorbei.