Mal kurz das CO2 wegbringen

Nur Vermeiden hilft: Warum die CCS-Technologie keine Lösung ist.


Der Bauernhof meines Großvaters zeichnete sich durch seine idyllische Alleinlage aus. Die Gegend mit viel Wald ist voralpin bergig, zahlreiche Bachläufe haben tiefe Taleinschnitte geformt. Hinterm Haus war so ein kleines Tal. Es diente der Familie als Müllkippe.

Wir nannten es den „Graben“. Müll wegbringen hieß „in den Graben werfen“. Allerdings gab es zu Zeiten meines Großvaters, vor sechzig, siebzig Jahren fast keinen Müll. Und keine Müllabfuhr. Im „Graben“ landete nur ganz wenig Ausrangiertes, gänzlich Unbrauchbares. Die Ära der Plastikverpackung war noch nicht angebrochen.

Jeder Hof und jedes Dorf hatte so einen „Graben“, bis sich die Müllmenge zuerst zur Flut, dann zum Tsunami entwickelte. Bald kam die Müllabfuhr, die lokalen Deponien mussten dem Recycling und der Entsorgung weichen. Deponieren ging nicht mehr. Deponieren erwies sich als falsch (schon wegen der enormen Methan-Emissionen), war weltweit keine Lösung und ist es bis heute nicht.

Doch dann hat sich ein kluger Kopf neue Deponien ausgedacht. Und zwar für den Müll, den die Menschen in unglaublichen Mengen verursachen und damit ihr eigenes Dasein gefährden: Kohlendioxid.

Für dieses Deponieren gibt es einen vornehmeren, scheinbar wissenschaftlichen Ausdruck – Carbon Dioxide Capture and Storage, CCS, zu Deutsch, CO2-Abscheidung und -Speicherung. Die CCS-Technologie sieht vor, Kohlenstoffdioxid, vor allem dort, wo es in großen Mengen entsteht, zum Beispiel an Kohlekraftwerken, „einzufangen“ und in unterirdischen Hohlräumen zu speichern1. Darüber hinaus gibt es außerdem das DAC-Verfahren, heißt „Direct Air Capture“ und meint, Kohlenstoffdioxid der Luft zu entziehen.

Manche begrüßen diese Technologie2, ich finde, es ist keine gute Idee. Es ist eher der nächste Scheinriese unter den vermeintlichen Zukunftslösungen, nach dem Gelben Sack (Abfall) und E-Autos (Mobilität).

Eine künstlich angelegte unterirdische CO2-Lagerstätte ist nichts anderes als eine Deponie. Und daher keine Lösung. Es bringt nichts, wenn wir Zeug, das wir nicht mehr brauchen, irgendwo ablagern. Deswegen sind Deponien in Deutschland und anderswo verboten. Sonst würde das ja gar kein Ende nehmen. Elektroschrott? Auf den Haufen! Sperrmüll? Auf den großen Haufen! Plastik? Auf den größten aller Häufen! Wo kommen wir da hin?

Aber: Andere Länder, andere Ansichten. In den USA beispielsweise suchen die großen Mineralölkonzerne nach einer Zukunft, falls es für sie eine gibt. Jedenfalls wollen sie dort CCS forcieren3. In Island plant man ebenfalls ein solches Projekt, wobei dort das in Basalt gepresste CO2 nicht bleibt, sondern sich in Karbonatgestein umwandeln soll4. Mag funktionieren. Nur scheint es mir arg weit hergeholt, das CO2 zunächst aufzufangen, in Tankschiffe zu verladen und dann nach Island zu transportieren. Vielleicht ist an Bord der Schiffe noch Platz für ein paar Millionen Tönnchen Plastik aus dem Gelben Sack. Vielleicht könnte man  die in einem der zahlreichen isländischen Vulkane lagern.

Es gibt im Zusammenhang mit CCS noch mehr seltsame Ideen. Manchen Leuten schwebt zum Beispiel vor, mit Hilfe fossiler Brennstoffe Wasserstoff herzustellen, sagen wir für die extrem energieintensive Stahlindustrie. Das ist natürlich ganz schlechter, so genannter grauer Wasserstoff. Aber: Würde das dabei entstandene Kohlenstoffdioxid unterirdisch deponiert, hätte der Wasserstoff eine höhere „Güte“, man könnte ihn als blauen Wasserstoff bezeichnen5. Ich finde dieses Vorhaben unterirdisch schlecht. Da wäre es schon besser, im Stahlwerk weiterhin Koks zu verbrennen und das CO2 direkt aufzufangen und zu lagern. Dann hätte man wenigstens die gigantischen Verluste beim Wirkungsgrad nicht.

Seit Jahrzehnten versucht man uns weiszumachen, was man mit CO2 alles machen könnte, ein Grund mehr, den „Rohstoff“ zu speichern. Das mag ja sein – aber jetzt ist es zu spät für ausschließlich im Labor funktionierende Anwendungen. Das Gas als Rohstoff müsste jetzt, also heute schon in großen Mengen Verwendung finden. Tatsächlich aber verarbeitet die Industrie in Deutschland lediglich 21 Millionen Tonnen, das sind ungefähr drei Prozent dessen was anfällt. Und ob es als Dünger taugt, ist ebenfalls sehr fraglich6.

Nein, es gibt zu viele Gründe, CO2 nicht zu speichern. Und es gibt sehr viele Risiken, wenn man es dennoch tut7. Der wichtigste Grund, es zu lassen, sind die enormen Energiemengen die man braucht, um das Gas überhaupt unter die Erde zu bringen. Der Verlust beim Wirkungsgrad von Kraftwerken wäre dramatisch.

Das absolute Knock-Out-Kriterium ist jedoch wieder einmal der Reboundeffekt. Er tritt fast immer auf, wenn sich scheinbar umweltfreundliche Technologien verbreiten. Ein Beispiel: Durch den technischen Fortschritt ist der Energieverbrauch von Fernsehgeräten in den vergangenen Jahren stark gesunken. Doch immer größere Bildschirme haben diesen Fortschritt zunichte gemacht8.

Beim CO2 reichte wohl schon das Gerücht, mit CCS sei eine Lösung gefunden, damit die Menschen weiter völlig sorglos, ja geradezu enthemmt konsumieren. Daran wäre eigentlich nichts auszusetzen, wenn dann nicht noch weit mehr fossile Rohstoffe verbrannt würden. Es mag sein, dass in Sektoren, wo es nun wirklich gar nicht anders geht, zum Beispiel in der Landwirtschaft, das noch notwendige CO2 durch CCS kompensiert wird. Doch wenn man, also Legislative und Exekutive, das vorher nicht genau festlegt, glauben alle, sie könnten weitermachen wie bisher, weil ihre Treibhausgasemissionen unter der Erde die letzte Ruhestätte finden. Was wahrscheinlich auch noch keiner auf dem Schirm hat: Irgendwann wird „man“ gezwungen sein, das Verbrennen von fossilen Stoffen zu beenden. Warum auch immer. Das gilt insbesondere für Motoren aller Art. Mit einem konkreten Datum, wenn das Land 2045 klimaneutral sein will. Wenn dieses Datum bekannt ist, ist die Gefahr groß, dass es zu einer Art Torschlusspanik kommt und sich jedermann, Betonung auf „mann“, noch schnell ein Fahrzeug mit üppigem Verbrenner, so einen Fünfliter V8, leisten könnte. Und man wird sich wundern, wie lange Autos halten können. Nicht ausgeschlossen, dass die meisten noch 2060 mit einer H-Nummer herumfahren.

Kurzum – das unterirdische Speichern von Kohlenstoffdioxid ist ein Holzweg. Was im Prinzip für die natürlichen Speicher von CO2 – die Wälder, ebenso gilt. Wobei beim Aufforsten immerhin das Holz noch als Rohstoff für wirklich vielfältige Anwendungen zur Verfügung stünde, was bei CCS in der Regel nicht der Fall ist. Allerdings kostet Aufforsten, erst recht aber der Erhalt der Regenwälder nur einen Bruchteil von dem, was für die CCS-Technologie nötig wäre9.

CCS findet sich ganz am Ende einer langen Wegstrecke zur Klimaneutralität und zu einem kleinen ökologischen Fußabdruck10. Das erste Ziel auf diesem Weg ist das Vermeiden jeder Art von Müll, einschließlich des Verbrennungsmülls.

Für die CCS-Technologie gibt es nur eine Lösung: Schreddern und deponieren, eventuell in einem Museum. Eines ist sicher: Wir werden einmal entsetzt sein, wenn wir erfahren, dass man CO2 unter der Erde hat deponieren wollen. So wie wir heute entsetzt sind, dass der Müll einfach im „Graben“ landete.



1 Wikipedia-Eintrag „CO2-Abscheidung und –Speicherung“ abgerufen am 26.03.2021
https://de.wikipedia.org/wiki/CO2-Abscheidung_und_-Speicherung

Umweltbundesamt, 15.01.2021: Carbon Capture and Storage
https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/gewaesser/grundwasser/nutzung-belastungen/carbon-capture-storage#grundlegende-informationen

Wuppertal-Institut zu DAC, abgerufen am 4.06.2021
https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/7438/file/7438_Viebahn.pdf

2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.03.2021: „CO2 unter der Erde lagern“. In dem Beitrag heißt es, die Technik würde hierzulande „blockiert“. Damit insinuiert man, eine „gute“ Lösung würde von „bösen“ Umweltschützern verhindert.

ebd., 18.05.2021: „FDP: CO2 in die Erde verpressen“
(zusätzlich zur Vermeidung

3 DER SPIEGEL, Nr. 21 vom 22.05.2021: Das letzte Fossil

4 faz.net, 22.04.2021: „CO2 lässt sich bald nach Island verschiffen“
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-energie-und-umwelt/co2-island-will-kohlendioxid-im-untergrund-speichern-17305351.html

5 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2021: „Öko-Verbände stellen sich gegen Wasserstoffstrategie-Anpassung“

6 Bundesministerium für Bildung und Forschung: Kohlendioxid als Rohstoff
https://www.bmbf.de/de/kohlendioxid-als-rohstoff-9284.html
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Treibhausgas-Emissionen in Deutschland in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente
https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Infografiken/Energie/fortschrittsbericht-co2-emissionen.html
jeweils abgerufen am 4.06.2021
deutschlandfunk.de, 20.04.2018: Pflanzen reagieren auf mehr CO2 anders als gedacht
https://www.deutschlandfunk.de/ueberraschender-klimaeffekt-pflanzen-reagieren-auf-mehr-co2.676.de.html?dram:article_id=416145

7 Greenpeace: Mogelpackung CCS
https://www.greenpeace.de/themen/endlager-umwelt/co2-endlagerung/mogelpackung-ccs
8 Wikipedia-Eintrag „Rebound-Effekt“, abgerufen am 7.04.2021
https://de.wikipedia.org/wiki/Rebound-Effekt_(%C3%96konomie)#Beispiele

9 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.03.2021: Rettungsversuche für die Regenwälder

10 Panorama – das Magazin des Deutschen Alpenvereins, 2/2021: Die Logik des besten Weges


Das Foto von Pixabay zeigt nahezu CO2-freie Energieerzeugung mit Solarzellen in Minidoka County, USA
https://www.pexels.com/de-de/foto/schwarze-und-silberne-sonnenkollektoren-159397/