Der Garten Wirtschaft

Modell für eine zukunftsfähige Ökonomie.


Die Idee ist nicht von mir. Ich habe neulich davon gelesen und zwar in dem sehr empfehlenswerten Buch1 von Maja Göpel „Unsere Welt neu denken“. Wobei die Idee auch nicht von ihr ist, sondern in einem der Zitate vorkommt, die sie jedem Kapitel voranstellt: „Die Komplexitätsökonomik zeigt, dass die Wirtschaft, niemals in perfekter Balance oder Stagnation ist und immer sowohl wächst als auch schrumpft. Und genau wie ein vernachlässigter Garten tendiert auch eine sich selbst überlassene Wirtschaft in Richtung ungesunder Ungleichgewichte“. Maja Göpel zitiert hier die Ökonomen Eric Liu und Nick Hanauer.

Wie ein Garten! Das ist ein so schönes Bild. Deshalb will ich es in vier Schritten weiter ausmalen.

1. Schritt: Es muss wachsen.
Wenn wir ein Samenkorn, eine Zwiebel oder eine Knolle in die Erde legen, erwarten wir, dass es wächst. Oh, die Faktoren, die Wachstum verhindern, sind Legion. Zu kalt, zu warm, zu nass, zu trocken. Für die Herbstsaat von Getreide ist es besser, wenn eine Schneedecke auf ihr liegt. Dann hat sie es nicht so kalt. Jedenfalls nicht so kalt, wie wenn sie ungeschützt einem starken Nachtfrost (-20°!) ausgesetzt wäre und erfriert. Einmal habe ich Kamillesamen verbuddelt. Also, Linie gezogen, leicht mit Erde bedeckt. Es wurde nichts. Kamille ist ein Lichtkeimer. Es hätte genügt, den Samen einfach auszustreuen.
Samenkörner im Wirtschaftsleben sind Unternehmensgründungen und Startups. Daher heißt die Art der Frühfinanzierung Seed Financing. Und wir erwarten, wir wünschen, wir hoffen, es wachse.
Übrigens hege ich auch wieder einen Setzling namens Waldfreund.in (hier der Link). Das ist ein Online-Publikumsmagazin, das Spannendes zum Thema Wald bringt. Dafür wünsche ich mir Traffic und dann logischerweise, dass das dazu gehörende Bookazine (ein Mix aus Buch und Magazin – als E-Book oder gedruckt) viele, viele Kunden findet.

2. Schritt: Es muss schrumpfen.
Weder im Garten noch in der Wirtschaft kann alles immer wachsen. Im Obst- und Gemüsegarten hat das meist jahreszeitliche Gründe. Nehmen wir grüne Bohnen. Bis Ende August gibt es was zu pflücken, dann färbt sich die Pflanze braun, verdorrt und landet auf dem Kompost. Claro, in einem frisch angelegten Obstgarten wachsen – so Gott will – erst mal alle Bäumchen. Doch sogar die altern. Obstbäume, Reben, Johannisbeeren, sie altern und fliegen irgendwann raus.
Auf dem Komposthaufen der Wirtschaftsgeschichte finden sich viele große Unternehmen: Kodak, Enron, Schlecker, Borgward, Arcandor. Und kleine: Voriges Jahr hat im Nachbarort eine Bäckerei dicht gemacht. Sie lief prächtig, allerdings hat der Bäckersmann keinen Nachfolger gehabt. Will sagen: Das mit dem „Komposthaufen“ passt prima, denn so ein Kompost ist ja immer die Grundlage für etwas Neues. Der Umsatz des besagten Bäckers ist ja nicht weg, sondern bei anderen Bäckern. Für Arbeiterinnen und Arbeiter ist eine Pleite immer bitter, oft entsteht allerdings gerade daraus etwas Neues. Übrigens gibt es Unternehmen, die wollen gar nicht wachsen2. Wenn es denen reicht – warum nicht.
Aber: Wer erinnert sich an den Gröfaz? Größten Feldherrn aller Zeiten. Der ist zum Glück tot, der Griz jedoch lebt. Leider. Griz? GrIZ? Größter Irrtum aller Zeiten. Der Irrtum ist, es müsse ein Wirtschaftswachstum geben. Das drückt sich in der Regel an der Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, ohnehin eine fragwürdige Kennzahl. Heutzutage verfallen der Mainstream von Politik und Wirtschaft regelrecht in Panik, wenn das Plus nicht deutlich größer als 2,0 ist. Ich sage (und viele andere Experten ebenfalls): In einem Garten, einem ausgewachsenen Garten, beziehungsweise einer ausgewachsenen Volkswirtschaft muss am Ende des Jahres unter dem Strich immer „Null“ stehen. Natürlich nicht immer 0,00, doch eine -1,5 geht durchaus als rote Null, +1,5 als schwarze Null durch. Sonst stimmt etwas nicht.
Es ist unmöglich, dass alles immer wächst. Ein Blick nach draußen, in den Garten müsste das doch lehren. Da ist nicht jedes Jahr fünf Prozent mehr. Sonst würde doch alles zuwachsen. So ein Garten hat ja schließlich Grenzen, ebenso wie die Ökonomie, ebenso wie der Planet.

3. Schritt: Ab und zu ein Schnitt, und zwar ein harter.
Wenn der Staat wenig in die Wirtschaft eingreift, heißt das Laissez-faire. Im Garten hieße das „Laisser-pousser“ – wachsen lassen. Wachsen lassen geht gar nicht. Nirgendwo. Der Gärtner muss nun einmal zurückschneiden, festbinden, umleiten. Bei Bäumen spricht man vom „Erziehungsschnitt“. Wer seinen Rasen nicht mehr mäht, muss ja nicht zweimal die Woche sein, hat irgendwann Wiese, dann Gebüsch, dann Wald. Nennt sich Sukzession. Ökologisch nicht schlecht, aber halt kein Rasen und kein Garten mehr.
In der Wirtschaft sind ebenfalls ab und an harte Eingriffe nötig. Nehmen wir das Thema „Umweltschutz“. Hu! Die Unternehmen würden am liebsten alles auf die Verbraucherin und den Verbraucher abschieben. Christian Stöcker auf Spiegel online3 und Maya Göpel in ihrem Buch argumentieren wunderbar dagegen. Sie nennt es „Privatisierung des Umweltschutzes“. Geht gar nicht. Die Unternehmen sind verantwortlich! Warum soll ich denn 80 Millionen Konsumenten zu einer bestimmten Verhaltensweise zwingen, wenn ich die fünf marktbeherrschenden Einzelhandelsketten (oder nur drei Automobilkonzerne) an einen Tisch bitten und ihnen kräftig auf die Finger klopfen kann.
Neulich – es war noch Januar – hat einer dieser Handelskonzerne seinen „Preisknüller der Woche“ angepriesen: Heidelbeeren. Heidelbeeren! Im Januar! Hör mir auf! Es heißt dann immer „Der Kunde will es doch“. Das ist Unsinn, jeder Kunde versteht, dass es im Januar keine Heidelbeeren gibt, es sei denn, man drängt sie ihm in der Werbung auf. Und zur Not gibt es immer noch TK-Ware. Jener Handelskonzern hat auf seiner Webseite eine fette Rubrik „Nachhaltigkeit“. So geht Greenwashing.

4. Schritt: Ökologische Maßnahmen
Immer mehr Gartenfreunde stellen ein „Bienenhotel“ auf. Das hilft den Wildbienen. Immer mehr Gartenfreunde lassen im Herbst Laubhaufen liegen, damit Igel Unterschlupf finden, immer mehr Gartenfreunde verzichten auf alles was mit „…zide“ endet und schaffen sich mit einem Kompost eigenen Dünger.
Wenn Unternehmen Ökologie entdecken, muss man genau hinsehen. Von Greenwashing war schon die Rede. Aber: Es gibt Unternehmen, die meinen es wirklich ernst. Mehr dazu findet man zum Beispiel bei Entrepreneurs for Future oder beim Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW).

5. Schritt: Ruhe und Erholung nicht vergessen.
Die wichtigste Funktion eines Stückchens Land oder eines Gartens (in Stuttgart nennt man den Garten „Stückle“) ist die Erzeugung von Lebensmitteln. Selbst im kleinsten Vorgarten ist Platz für einen Johannisbeerstrauch oder ein Apfelbäumchen. Das zweitwichtigste an einem Garten ist, dass man darin Ruhe und Erholung findet. Kein Garten ohne Liegestuhl und Sitzecke. Wer nicht ab und an den Vögeln zuhört, Bienen beobachtet oder die Füße hochlegt, macht etwas falsch.
Also – man kann das nicht ohne weiteres auf den Garten Wirtschaft übertragen. In ein Unternehmen geht man nicht, um sich zu erholen. Aber – eine Parallele gibt es: In der Regel lebt man nicht, um zu arbeiten, man arbeitet, um zu leben, was etwas abgedroschen klingt. Es gibt sicher Zeiten, großer Auftrag, wichtiges Projekt, in denen man mal klotzen kann. Junge Unternehmensberater kokettieren gerne mit der 60-Stunden-Woche. Ein Dauerzustand ist das allerdings nicht, für niemanden. 40 Stunden oder weniger sollten reichen.

So, für den Garten Wirtschaft brauchen wir jetzt noch einen Namen. „Oeconomia hortensis“? Klingt gut.

1 Maja Göpel, „Unsere Welt neu denken“, Ullstein Buchverlage, Berlin 2020, S. 136

2 n-tv.de, 2.02.2022: Wenn Wachstum an seine Grenzen stößt
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wenn-Wachstum-an-seine-Grenzen-stoesst-article23099878.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

3 Christian Stöcker bei spiegel.de
https://www.spiegel.de/impressum/autor-0ab8a756-0001-0003-0000-000000001562

Empfehlenswert: ein Beitrag von Arte über das Wirtschaftswachstum
https://www.arte.tv/de/videos/104840-007-A/brauchen-wir-wirtschaftswachstum/

Foto von Karolina Grabowska von Pexels