Wer weiterhin eurozentrisch denken will, sei begründungspflichtig,
sagte der Historiker Jürgen Osterhammel beim 60. Geburtstag
von Kanzlerin Angela Merkel.
Hier eine Begründung: Nur die westlichen, eurozentrischen Werte
garantieren die Freiheit des Menschen.
Von den westlichen Werten sind die Würde und die Freiheit des Einzelnen die vornehmsten. Die Gegner dieser Werte haben in Wahrheit nur eines im Sinn: Sie wollen den Menschen wieder versklaven.
Und die Gegner werden nicht nur zahlreicher, sondern auch politisch und wirtschaftlich mächtiger. Als Autokraten ziehen sie eine gewisse Bewunderung auf sich, weil sie scheinbar effizient und erfolgreich regieren, in China, der Türkei, in Ruanda. Ohne Volk geht’s auch. Im Osten (von Europa aus) ziehen viele den Schluss, wirtschaftlicher Erfolg stelle sich gerade dann ein, wenn die Werte des Westens fehlen. Wer beispielsweise einen Staudamm bauen will, für den Tausende Menschen ihr Zuhause verlassen müssen, der wird die Rechte dieser Menschen auf Meinungsäußerung, Demonstration und gerichtlichen Klagen eher gering schätzen.
Geringschätzung erfahren diese Werte von vielen Seiten. Der russische Philosoph Alexander Dugin beispielsweise sagt (FAZ, 16.06.2014), die Todsünde des Westens sei, dass er die eigenen Werte, Demokratie und Menschenrechte, Individualismus und Marktwirtschaft, für universal halte und anderen aufdränge. Der Westen solle seine Werte als lokal betrachten.
Hätte ich die Gelegenheit, mit Herrn Dugin zu diskutieren, der wohl auch als Berater des russischen Präsidenten gilt, würde ich zwei Dinge klarstellen.
Erstens: Es muss Regeln geben.
Zweitens: Es sind unsere (westlichen) Regeln.
Wenn der Herr dann noch mit mir reden würde, würde ich dazu klarstellen.
Zu erstens: Ohne Regeln geht gar nichts. Das gilt das Zusammenleben in der Familie (Wer räumt den Tisch ab?), das gilt für das Zusammenleben der Völker, der Unternehmen, es muss Regeln für die Good Gouvernance geben, oder auch, ganz banal, für den Verkehr und das Spiel. Spielen Sie mal mit Menschen, welche die Regeln nicht kennen oder sich nicht daran halten. Kürzlich fand ich in der Zeitung folgende Anekdote: In einer Schule unserer Stadt waren Austauschschülerinnen aus Indien zu Gast. Auf die Frage des Lokalreporters, was ihnen an Deutschland am besten gefallen habe, sagten sie, ihnen gefalle, dass die Autofahrer auch dann bei rot halten, wenn keine Polizei in der Nähe ist. Klar, oder? Leute, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten wollen, dürfen nicht auf die Straße.
Zu zweitens: Hier geht es um die Frage, welche oder wessen Regeln gelten. Ich würde sagen, also mein lieber Herr Dugin, ich will Ihnen unsere westlichen Regeln nicht aufdrängen, nur sehe ich keine Alternative dazu. Sicher, auch andere Kulturen haben respektable Kanones. Alexander Dugins Logik nach, wären auch diese dann lokal. Das ist solange okay, wie die einzelnen Kulturen, Völker und Nationen nicht miteinander in Berührung kommen. Was in der Geschichte der Menschheit aber noch nie der Fall war. Darum müssen sich zwei Kaufleute aus verschiedenen Ländern ja auch zunächst über das anzuwendende Recht, den Gerichtsstand etc. einigen. Wenn wir also nicht Milliarden bilateraler Abkommen wollen, brauchen wir ein universelles Wertesystem.
Und das ist das Westliche!
Die Frage ist, warum es manchen Menschen so schwer fällt, die westlichen Werte als universell zu akzeptieren. Dass es so ist, wie es jetzt ist, ist eben eine Jahrhunderte dauernde historische Entwicklung. Man denke sich doch mal folgendes: Der Nullmeridian ist eine gedachte Linie, die völlig willkürlich überall verlaufen könnte. Sie läuft durch Greenwich/London und ist daher sozusagen ebenfalls eurozentrisch. Und?
Erstens: Wir brauchen eine Nulllinie, sprich Regel.
Zweitens: Es ist nun mal Greenwich.
Es muss nicht Greenwich, es kann auch Moskau, Peking oder Istanbul sein. Von mir aus. Es wäre bestimmt auch lustig, die bestimmenden Herren darüber streiten zu sehen.
Schließlich würde ich Herrn Dugin auch noch folgendes sagen: Oprostite, aber Sie sind Wegbereiter eines autoritären Kapitalismus, der im Prinzip nur funktioniert, wenn westliche Regeln nicht gelten. Der autoritäre Kapitalismus würde nicht funktionieren, wenn es bei jedem der zahlreichen Großprojekte eine Bürgerbeteiligung und Volksabstimmung wie zum Beispiel bei Stuttgart 21 geben würde. Der autoritäre Kapitalismus verträgt sich nicht mit den westlichen Regeln, weil sie stören. Durch Leute wie Alexander Dugin lässt er sie nicht entwerten und nicht diffamieren, aber er lässt den Gültigkeitsbereich dieser Regeln reduzieren.
Letztlich ist die Antwort auf die Frage, warum andere so oft und immer stärker an den westlichen Werten rütteln, erschreckend: Die politisch-wirtschaftlichen Establishments in den Ländern mit autoritärem Kapitalismus lehnen dieses Wertesystem ab, weil es den Menschen frei macht, weil es ihm Rechte verleiht. Die Freiheit des Einzelnen lehnen viele mit der Begründung ab, sie schätzen kollektive Werte höher. Die Wahrheit aber ist: Freie Menschen hindern das jeweilige politisch-wirtschaftliche Establishment an seiner Entfaltung. Der unpolitische, aber eifrige, fleißige, Konsument ist ihnen am liebsten. Ihr Ideal ist der durch relativen Wohlstand ruhig gestellte, nicht selbst denkende, unaufgeklärte, von staatlichen Medien gelenkte Sklave.