Was nach Großherzigkeit aussieht ist in Wirklichkeit
die pure Not: Wir ersticken in den Fluten von Zeugs.
Schenken als letzter Ausweg.
Man muss nicht nichts haben. Faszinierend wäre es aber schon. Zum Beispiel die Franziskaner. Besitzlosigkeit ziert sie, Geldannahme war ihnen zeitweise gänzlich verboten. Oder Diogenes von Sinope. Nicht einmal einen Becher wollte er angeblich besitzen, zum Trinken reicht schließlich die hohle Hand.
Ehrlich gesagt, nichts würde den wenigsten reichen. Doch unser Problem ist nicht das Nichts, sondern das Zuviel. Was nichts ist, ist klar, was aber ist zu viel? Eine Antwort zeichnete sich ab, als Soziologen untersuchten, was ein Tuareg persönlich besitzt und was ein moderner Westeuropäer. In der Zahl von Gegenständen ausgedrückt lag das Verhältnis in etwa 30 zu 3000. Das hat Konsequenzen. Kann man beispielsweise von einem Kind verlangen, sein Zimmer halbwegs in Ordnung zu halten, wenn sich darin 3000 Gegenstände befinden? Ehrlich gesagt, nein.
Ganz genau wissen, wieviel sie besitzt, wollte die Architektin und Designerin Henrike Gänß
(Greenpeace Magazin 1.14). Bei einer Bestandsaufnahme ihrer Habe (Habseligkeiten sind das ja wahrlich nicht) kam sie auf 2506 Gegenstände. Davon hat sie etwa vier Fünftel als nicht arbeits- oder lebensnotwendig aussortiert. 577 Gegenstände behält sie.
Wie kommt es, dass der Mensch so viel „Sach“ hat, wie man im Schwäbischen sagt? Drei Gründe. Da ist zum einen der natürliche Eichhörnchen-Sammeltrieb des Menschen. Beispiel Tassen: Am Anfang war die Grundausstattung von einem halben Dutzend, die man noch von Muttern mit bekommen hat. Es kamen hinzu: Geschenke, Mitbringsel, Reiseandenken, nicht zu vergessen die Glühweintassen der in Dekaden besuchten Weihnachtsmärkte, irgendwann auch ein hochwertiges Porzellanservice, das eine oder andere Selbstgemachte aus Ton. Irgendwann steht man vor einem Platzproblem. Also verschwindet ein Teil der wenig genutzten Tassen zuerst in einem Karton und dann im Keller. Was natürlich auch keine Lösung ist. Der zweite Grund für die Warenschwemme sind die Discounter. Woche für Woche überschwemmen sie uns mit so genannter Aktionsware, die zwar meist nützlich ist, die man aber längst in mehrfacher Ausführung hat. Der dritte Grund: Man kann es sich leisten. Angebotsseitig – die Discounter sind billig, nachfrageseitig – die meisten von uns verdienen recht gut und können sich einiges leisten. Einiges? Fast alles! Ein früherer Nachbar ließ einmal unvorsichtigerweise seine Garage offen. Was wir da alles erblickten! Rennräder, Mountainbikes, Mopeds, Skiausrüstungen, Snowboards, Boote, und, und, und… Wir nannten ihn „Alleshaber“.
Irgendwann jedoch ist uns Alleshabern auch die größte Garage zu klein. Die naheliegendste Lösung und die erfreulichste: Wir verkaufen das Zeugs wieder. Auf Flohmärkten, Kinderkleiderbörsen, Skibörsen usw. Doch hier kann man auch böse Überraschungen erleben. Selbst auf ein Nasenwasser reduzierte, neuwertige Markenartikel bleiben liegen. Gerade bei Börsen für Kinderkleider und Spielzeug zeigt sich: das Angebot übersteigt die Nachfrage bei weitem. Oft haben auch vermögende Großeltern dem einzigen Enkel einiges zu bieten. Da muss man nichts Gebrauchtes kaufen.
Also, wenn schon nicht verkaufen, dann wenigstens verschenken. Tatsächlich gibt es immer mehr sogenannte Umsonstläden. Manche sehen darin den Charme einer „Schenkwirtschaft außerhalb des kapitalistischen Systems“ (Schwäbisches Tagblatt, 23.09.2014), gerade in den großen Universitätsstädten. Geschenktes macht manch armen Studenten glücklich.
Nichts gegen das Verschenken. Schenken macht Freude. Vor allem dem Schenker. Edel sei der Mensch… Aber es ist doch etwas anderes ob ich von 50 Tassen ein Dutzend hergebe, für die ich ohnehin keinen Platz habe, oder ob ich meine einzige Tasse hergebe (oder auch eine der beiden) an jemanden, der wirklich bedürftig ist. Außerdem ist die Art des Schenkens, wie sie in einem Umsonstladen gepflegt wird, nur das Discounterprinzip getoppt: Umsonst ist am günstigsten. Was also im Gewand der Großherzigkeit daherkommt ist in Wirklichkeit nichts anders als die Not der Alleshaber, die in den Fluten ihrer Gegenstände zu ersticken drohen. Dann schon besser das Zeug verschenken.