Der Anfang vom Ende der Krawatte

Krawatte abschneidenEndlich!
Der Wahlsieg von Alexis Tsipras‘
Linksbündnis in Griechenland ist
wohl auch das Ende der Krawatte.

Schon als Kind habe ich mich gefragt, wozu in aller Welt eine Krawatte gut ist. Die damals naheliegendste Erklärung: Sie verdeckt die Knopfleiste des Hemdes. Vielleicht fehlte ein Knopf. Vielleicht nähte jemand einen Knopf an, der nicht hundertprozentig passt. Bis ich dann festgestellt habe, dass es auch Hemden mit verdeckter Knopfleiste gibt.
Später dann, beim Beginn der Erwerbsbiographie, lernte ich, dass die Krawatte etwas mit Hierarchien zu tun haben musste. Ob ich grundsätzlich etwas dagegen hätte, eine Krawatte zu tragen, fragte der Personaler eines großen Automobilherstellers in Stuttgart, wo ich den Job eines Materialdisponenten bekommen sollte. Den Job nahm ich dann doch nicht, was aber mit dem Outfit nichts zu tun hatte.
Inzwischen aber reifte die Erkenntnis heran: Die Krawatte ist ein Symbol der Macht. Natürlich hatte ich zeitlebens Besseres zu tun, um nach einer Bestätigung dieser Erkenntnis zu suchen, war aber umso glücklicher, als ich zufällig eine fand. Und zwar bei Dobelli.
Die Krawatte habe keine Funktion, sie sei nur ein Signal, schreibt Rolf Dobelli in „Die Kunst des klaren Denkens“ (Hanser, 2011) im Kapitel über Autoritäten, denen gegenüber man möglichst respektlos sein solle. Also ein Signal der Macht.
Vielleicht ist Alexis Tsipras auch respektlos, sicher ist, er trägt grundsätzlich nie eine Krawatte. Respektlos ist er gegenüber dem (krawattenbewehrten) politisch-wirtschaftlichen Establishment und vielleicht ist Respekt hier tatsächlich nicht angebracht.
Zu groß sind die Ungereimtheiten, welche sich dieses Establishment erlaubt. Die größte Ungereimtheit ist, dass die ganze Welt ihr Heil im Kredit sucht, dass die Zentralbanken (die amerikanische, die britische, die japanische sowieso, und als letzte auch die EZB) die Märkte mit billigem Geld fluten – und nur Griechenland soll sich totsparen.
Auch Konservative wie ich sollten froh sein, wenn der griechische Krawattenhasser nun auch darauf aufmerksam macht, wem die Geldflut wirklich dient: den Reichen.
Das stand in der Zeitung. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, bestimmt kein den Linken nahestehendes Blatt, am Tag vor der Wahl in Griechenland (24. Januar), hieß es „Reiche reiten auf der EZB-Geldwelle“ als Top-Meldung des Wirtschaftsteils.
Am Tag nach der Wahl in Griechenland war die Top-Meldung im Schwäbischen Tagblatt (die andere Zeitung, die wir zuhause lesen, auch kein linkes Kampfblatt): „Politik soll Armut bekämpfen.“ Und das wäre nun tatsächlich die wichtigste Aufgabe der Politik: Armut und Arbeitslosigkeit bekämpfen. Ja, die Arbeitslosigkeit! Man hat den Eindruck, dass im hierzulande herrschenden Vollbeschäftigungsrausch vergessen wird, wie gravierend-schockierend Arbeitslosigkeit bei unseren nächsten Nachbarn ist. In Griechenland, In Italien, in Spanien, unter Jugendlichen der Vorstädte von Paris…
Gravierend-schockiernde Nachricht in der gleichen Woche: Das reichste Prozent der Menschheit besitzt mehr als alle anderen zusammen (SPON, 19.01.2015).
Die reichsten Männer der Welt, Dagobert Duck und Bill Gates sieht man übrigens häufig ohne Krawatte. Was nun eine besonders subtile Form der Machtausübung ist – selbstverständlich müssen allen anderen mit Krawatte antanzen.
Das wird Alexis Tsipras nun nicht tun. Er hat sich auch nichts um den Hals gebunden, als er Papst Franziskus besuchte, letzterer eigentlich ein Bruder im Geiste, wenn es darum geht, die Ungerechtigkeiten auf dem Planeten zu bekämpfen.
Obwohl, der Papst? Manche Leute tragen bei besonders feierlichen Anlässen, aber nur dann, eine Krawatte. Als Zierde ist sie gut.

Lesetipp: Keine Krawatten mehr bei Conti (3.03.2016)
Spiegel Online