Gutmenschen und Weltverbesserer – wehrt Euch!

frau umarmt einen baum mit geschlossenen augenEs ist nicht ganz klar,
was daran schlecht sein soll,
„gut“ zu sein oder die Welt
verbessern zu wollen.
Höchste Zeit für klare Worte!


Gutmensch (1) ist heute in bestimmten Kreisen ein politischer Kampfbegriff für jemanden, der humanistische, altruistische, auch religiös-mitmenschliche Lebensziele und Argumente hat. Diesen Kampfbegriff nutzen also Leute, die keine humanistischen, altruistischen oder auch religiös-mitmenschlichen Lebensziele und Argumente haben. Diese Leute glauben, „Sachargumente“ zu haben.

Inzwischen gibt es noch mehr solcher Kampfbegriffe, zum Beispiel „Weltverbesserer“. Auch schön: „Gutmenschelei und Dritteweltverbesserertum“, gefunden ausgerechnet im „Journalist“ vom Dezember 2015 (2), einem Fachblatt von und für Leute, die mit Sprache eigentlich verantwortungsvoll umgehen müssten. Oder „Bessermenschen“ (zeit.de). Fehlen noch die „Bestmenschen“.

Ebenfalls zu dieser Kategorie gehört der Spruch „Gut gemeint, ist das Gegenteil von gut“. Sicher, nicht alles was gut gemeint begonnen, endet auch gut. Um daraus aber einen Grundsatz zu machen, muss man schon weit auf dem Holzweg sein. Dagegen sagt ein wirklich kluges lateinisches Sprichwort „Bonum initium est dimidium facti“ – Gut begonnen, ist halb gewonnen.

Wer die Begriffe „Gutmensch“, „Gutmenschentum“ und „Weltverbesserer“ verwendet, offenbart seine Not und seinen Mangel an guten, ja, besseren Argumenten. Es sind auch Leute, die ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie haben. Denen eine autoritäre Regierungsform der besseren und leichteren Geschäfte wegen lieber ist. Die sich auch bei uns etwas weniger Demokratie wünschen. Es ist ihnen ein Gräuel, dass bei Großprojekten das Volk gefragt wird. Gegenargumente verunglimpfen sie als „bruddeln“ (im Schwäbischen der Begriff für eine bestimmte Form des Schimpfens). Folglich lautete ein Schlachtruf der S-21-Befürworter in Stuttgart: „Buddeln statt bruddeln“.

Es sind aber auch schwache Leute, die diese Begriffe verwenden, Leute, die aufgegeben haben, Positives in der Welt zu bewirken.
Denn die „Welt zu verbessern“ klingt nach so gigantischer Aufgabe, dass es lächerlich scheint, wenn der Einzelne hier etwas bewirken will.
Aber: Das Wesen des Wortes „Weltverbesserer“ hängt tatsächlich eng mit dem Wesen der Demokratie zusammen. Auch in der Demokratie gibt es Leute, die nicht zur Wahl gehen, weil sie meinen, ihre einzelne Stimme könne sowieso nichts bewirken. Sie haben die Demokratie nicht verstanden. Die Stimme des Einzelnen soll ja auch gar nichts bewirken (höchstens als Zünglein an der Waage). Es ist die Mehrheit, die etwas bewirken soll! Der Gedanke, ein Einzelner solle etwas bewirken können, führt letztlich in die Diktatur. Die einzelne Stimme zählt nur ein Sechzigmillionstel, so viele Wahlberechtigte es in Deutschland eben gibt. Was für ein Glück! Denn die Möglichkeit etwas verändern zu können, schließt ja auch die Verantwortung dafür ein (außer in der Diktatur).

So ist das mit der Verbesserung der Welt. Wir sind alle dazu aufgerufen, wir sind alle für die Welt verantwortlich. Nur beträgt die Verantwortung des Einzelnen ein Siebenmilliardstel, so viele Menschen es auf der Erde eben gibt. Soll nun keiner sagen, diesen scheinbar winzigen Beitrag könne er nicht leisten. Kein Mensch muss alleine die Kraft aufbringen, die Welt zu verbessern, das wäre in der Tat lächerlich.
Noch lächerlicher wirkt das Ganze im großen Maßstab. Wer behauptet, Deutschland sei für „nur“ zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, also bringe eine Maßnahme wie das Tempolimit so wenig, dass es sich nicht lohne, ist auch auf dem Holzweg. Deutschland hat ungefähr 81 Millionen Siebenmilliardstel der Verantwortung für diese Erde, sprich, etwa sieben Prozent. Dieser Verantwortung für die Erde sollten hierzulande alle gerecht werden, gerade in einem Land, das so viele helle Köpfe und so viele herausragenden technologischen Fähigkeiten hat.

Ganz speziell ist der Begriff „Weltretter“, bzw. „Klimaretter“. Auch das sind Kampfbegriffe derjenigen, die beispielsweise die „Fridays-for-Future“-oder die „Scientists-for-Future“-Bewegung (3) diskreditieren wollen. Mitglieder dieser beiden Bewegungen bezeichnen sich ja eher selten als „Weltretter“. Aber die „Weltrettung“ ist auch hier eng mit dem Begriff der Demokratie verbunden.
Es kommt auf jeden Einzelnen an, aber der Einzelne ist nicht entscheidend.

Entscheidend ist nicht das individuelle Verhalten, sondern die Fähigkeit, aus den Anliegen Einzelner eine Bewegung zu formen. Nennt sich Partei. Steht im Grundgesetz. Aber auch eine Bürgerinitiative, eine Online-Petition oder ein Flashmob kann zählen.

Angenommen, jemand findet, es gebe zu viel Plastik (4) und will den Kampf dagegen aufnehmen. Er/Sie/Es gründet eine Partei, die APP (Anti-Plastik-Partei), wird in das Parlament gewählt und nimmt so Einfluss auf eine Gesetzgebung, die Plastik reduziert. Das ist dann eine Leistung, die viel mehr bewirkt, als es individuelles Verhalten jemals könnte (Stichwort: „Plastikverzicht“).

Leider ist es oft so, dass diejenigen, die das Wort „Gutmensch“ als Kampfbegriff nutzen, stark auf das individuelle Verhalten abzielen. Kürzlich brachte eine Lokalzeitung ein Interview mit zwei Fridays-for-Future-Aktivistinnen. Die erste Frage lautete tatsächlich: „Wann seid Ihr zuletzt geflogen?“
Der Interviewer hat somit die Sachebene verlassen und zielt auf das individuelle Verhalten, die Person, ab. Das ist höchst unfair (vielleicht war es gar keine Absicht, was es nicht besser macht)´enerell unfair ist die Neid-Keule. Fliegt man – dann heißt es, „Du doch auch“, fliegt man nicht, heißt es „Du bist doch nur neidisch / Du kannst es Dir nicht leisten“.

Christan Stöcker sagt dazu treffend: „Es ist egal, ob Greta fliegt“ (5).

Noch treffender sagt es der Spezialist für Erneuerbare Energie und Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (6). Individuelles Verhalten und persönliches Engagement bringen fast nichts, Politik und Gesellschaft sind gefragt (und Unternehmen, wenn ich das ergänzen darf)  – alles andere sei Ablenkung.

Die Gesellschaft funktioniert hier wie ein Spiel, bei dem eigentlich alle, die hier leben, mitmachen müssen. „Aussteiger“ oder Game Changer sind selten. Es geht darum, die Regeln zu ändern. Das kann ich nicht alleine. Das ist ein demokratischer Prozess. Es ist schwierig, wenn einzelne oder wenige nach eigenen Regeln spielen. Gefragt sind Mehrheiten, um die Regeln zu ändern.

Was diese Erde daher braucht, sind viele Weltretter, Weltverbesserer und Gutmenschen.

 

 

 

1 Gutmensch – die Definition bei Wikipedia

2 im Beitrag über das erste deutschsprachige Nachrichtenportal über Journalismus
aus Afrika – mit guten Geschichten aus erster Hand

3 Wikipedia-Eintrag „Scientists for Future“
https://de.wikipedia.org/wiki/Scientists_for_Future
https://www.scientists4future.org/
https://fridaysforfuture.de/

4 „500 Frachtcontainer pro Tag Studie zu Plastikmüll im Mittelmeer“
KStA, 27.10.2020
https://www.ksta.de/panorama/500-frachtcontainer-pro-tag-studie-zu-plastikmuell-im-mittelmeer-37543524

5 „Sie schaffen das, aber nicht allein“
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/umwelt-das-beste-fuers-klima-zu-tun-ist-ganz-einfach-kommentar-a-1268027.html

6 Klimaschutz – was bringt persönliches Engagement
Interview mit Prof. Jürg Rohrer
deutschlandfunk, 29.11.2021 (Umwelt & Verbraucher, 11.35 Uhr)
https://www.deutschlandfunk.de/umwelt-und-verbraucher-100.html

 

 

Nachtrag im Januar 2016:
Na endlich – Gutmensch ist Unwort des Jahres!

Den Text habe ich mehrfach aktualisiert – zuletzt am 5.09.2022