…verschiebe doch auf übermorgen oder
noch später. So gehen die Nationen bei
der Rettung der Welt vor. Immerhin
herrscht nach der Klimakonferenz
in Paris Einigkeit darüber, dass die Welt
überhaupt in Not ist. Maßnahmen dagegen? Später!
Der Fachausdruck hierfür herrscht Prokrastination. Dabei handelt es sich um ein Aufschieben meist unangenehmer Verrichtungen. Beim Klimagipfel in Paris schien die Rettung der Welt zu den unangenehmen Verrichtungen zu zählen.
Das verschiebe doch auf morgen! Morgen? Wenn es doch morgen wäre, wenigstens übermorgen. Der Zeithorizont, welcher der Pariser Konferenz vorschwebt, ist jedoch nicht übermorgen, sondern 2030, 2050, 2100. Maßnahmen, die helfen könnten, den Klimawandel gemessen an der Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad Celsius zu beschränken, ergreift die Weltgemeinschaft erst in einem Zeitabstand, der keine Hektik erkennen lässt.
Der Höhepunkt der CO2-Emissionen muss möglichst vor dem Jahre 2030 liegen, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, also nach 2050, sollen die Emissionen auf Null reduziert werden. Bis 2100.
2030, 2050, 2100! Für die meisten heute lebenden ist das fast schon der St.-Nimmerleins-Tag. So groß die Freude darüber ist, dass überhaupt etwas geschieht – schließlich gibt es ja noch immer „Klimaleugner“, die bezweifeln, dass der Mensch das Klima verändern könne – so groß ist auch die Versuchung, notwendige Veränderungen aufzuschieben.
Das ist verständlich. Niemand will sein Leben abrupt umstellen oder seine Gewohnheiten radikal verändern. Fristen und Übergangszeiten sind menschlich und verständlich.
Leider ist das wie bei einer Wanderung mit Tagesziel. Sicher, wir können es langsam angehen lassen. Wir können schon früh viele Pausen machen und unser Vesper in aller Ruhe verzehren. Die Gefahr ist dann groß, dass wir uns dann am Ende sehr beeilen, ja, ziemlich anstrengen müssen, um das Etappenziel zu erreichen. Oder wollen Sie, wenn das Etappenziel ein gebuchtes Wellnesshotel ist, auf halber Strecke unter freiem Himmel übernachten? Und was, wenn wir morgens bummeln und spätmittags ein Gewitter hereinbricht? Zudem ist es keine Wanderung, sondern eher ein Staffellauf. Wenn der erste bummelt, muss sich der nächste (in diesem Fall die nächste Generation) umso mehr beeilen.
2030, 2050, 2100! Sicher, viele Umstellungen brauchen Zeit. Viele Technologien sind noch nicht praxiserprobt. Aber ein bisschen spricht aus so langen Fristen eine Art Beschwichtigung: „Nur die Ruhe! Heute müsst ihr gar nichts tun. Es ändert sich erst mal nichts. Später vielleicht.“
Also Aufschieben.
Dabei ist gar nicht gewiss, ob die zu ergreifenden Maßnahmen unangenehm sein werden. Beispiel: Elektroauto. Noch sind die Reichweiten ein wenig kurz, das Elektroauto hat dafür andere Vorteile, die das Fahren zum Vergnügen machen.
Zum dumm, dass das Elektroauto auch ein Beispiel für nicht eingehaltene Fristen ist.
Ziel der Regierung war, in Deutschland bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße bringen. Das erreichen wir wohl nicht. Es sei denn, in den Jahren 2016 bis 2020 passiert Unglaubliches. Laufschritt ist angesagt, um bei dem Bild mit der Tagesetappe zu bleiben.
Vielleicht könnte man oder müsste man, um das Ziel zu erreichen, doch etwas nachhelfen.
Natürlich kein Zwang!
Niemand soll gezwungen werden.
Freiwillig.
Vielleicht geht es mit „Incentives“ schneller, also Anreizen?
Seltsam: Obwohl sich alle vor Zwang fürchten, vor allem die Wirtschaft, die lieber auf Freiwilligkeit setzt, herrscht Einigkeit darüber, dass beim Klimagipfel in Paris etwas zu viel Freiwilligkeit herausgekommen ist. Anders formuliert: Niemand ist nie zu nichts verpflichtet.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, bedauert, dass es nur freiwillige Zusagen gibt, aber keine verbindlichen Minderungsverpflichtungen*. Jean Tirole, Nobelpreisträger für Wirtschaft, sagt, die Freiwilligkeit habe zu viel Raum erhalten.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Freiwilligkeit ist nichts Schlechtes. Das Beste ist, wenn alle Handlungen der Menschen auf Einsicht beruhen.
Kleiner Exkurs dazu**: Die Universitätsmensa Nijmegen wollte kürzlich einen Veggieday einführen. Dagegen gingen einige gleich auf die Barrikaden, allen voran ein Professor, der sich nichts vorschreiben lassen will. Der Witz: Der Professor sagt, er esse gerne vegetarisch. Er ist bloß gegen Zwang und nur für freiwilligen Verzicht.
Tja, leider manches ist leider viel zu lecker (Grillsteak), viel zu schön (Auto fahren) oder viel zu spannend (Flugreisen), um freiwillig damit aufzuhören.
Doch der Zeitfaktor spielt nun mal auch eine Rolle.
Morgen, übermorgen, 2030, 2050, 2100? Wir haben nun mal nicht alle Zeit der Welt, um darauf zu warten bis der letzte sein Verhalten ändert.
Wer den Unterschied zwischen Arbeit und Leistung kennt, sollte das ja verstehen. Emsigste Geschäftigkeit und größter Fleiß nutzen mitunter nichts, wenn die Arbeit nicht in einer bestimmten Zeit und/oder zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt ist.
Daher wäre es vielleicht recht klug, Maßnahmen gegen die Erderwärmung möglichst schnell zu ergreifen. Schnell heißt: heute.
Schon heute lässt sich viel besorgen…
* alle Informationen, auf denen dieser Beitrag beruht aus der FAZ vom 14. Dezember 2015
** FAZ, 4. November 2015