Das Duschgel-Drama

Eine Frau ist mit der großen Auswahl in einem Supermarkt beim Einkauf überfordert.Die große bunte Warenwelt ist nicht immer gut.
Zum Beispiel Duschgel. Mehr als hundert (!)
verschiedene Sorten Duschgel führt ein
gewöhnlicher Drogeriemarkt. Da ist die Auswahl
keine Freude, sondern ein Drama.

Neulich im Drogeriemarkt.
Gesucht: ein Duschgel.
Nicht irgendein Duschgel.
Nein, ein bestimmtes.
Nicht gefunden.

Der Grund: Es gibt, bei Menschen hieße es „Heerscharen“, unglaubliche Mengen an Duschgel. Das Regal hatte eine Breite von etwa sechs Metern, eine Höhe von etwa einsachtzig und gefühlt eine unendliche Tiefe.
Eine Zählung ergab, dass es rund 120 verschiedene Duschgels gibt.
Wie soll man da in vernünftiger Zeit ein bestimmtes finden?
Oder, wenn man kein bestimmtes sucht – lohnt es sich, kostbare Lebenszeit damit zu verbringen, Duschgele zu vergleichen?
Duschgel als Lebensinhalt?

Nun ist die Klage über eine zu große Auswahl an Produkten, die dem Verbraucher das Leben schwer macht, ein alter Hut.
Bereits 2004 erschien das Buch „The Paradox of Choice – Why More Is Less“ des amerikanischen Psychologen Barry Schwartz, zu Deutsch etwa das „Auswahl-Paradox“.

Hier eine Zusammenfassung des „Auswahl-Paradox“ nach Rolf Dobelli (aus seinem wunderbaren Buch „Die Kunst des klaren Denkens – 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen“, Carl Hanser Verlag, München, 2011). Demnach macht Auswahl glücklich, allerdings ist irgendwann eine Grenze erreicht (120 Duschgels?). Danach geht Auswahl zu Lasten der Lebensqualität. Dafür gibt es drei Gründe:
1. Zu große Auswahl blockiert die Entscheidung. Ein Supermarkt präsentierte den Kunden zunächst 24 Sorten Konfitüre zum Probieren. Tags darauf nur sechs Sorten. Bei nur sechs Sorten haben die Kunden wesentlich mehr gekauft. Bei zu viel Auswahl kann sich der Kunde nicht entscheiden und kauft gar nicht.
2. Zu große Auswahl führt zu schlechteren Entscheidungen, weil der gewöhnliche Mensch (im Gegensatz zum professionellen Einkäufer) gar nicht in der Lage ist, sich ein objektives Kriterienset zu recht zu legen, zumindest nicht vor einem Supermarktregal.
Genau genommen wäre er natürlich schon in der Lage ein entsprechendes Kriterienset zu erstellen. Der Zeitaufwand wäre aber enorm. Lebenszeit, siehe oben.
Das heißt, der Kunde greift sich irgendeins, das gerade vorne steht, das mit der auffälligsten Farbe, das billigste… (in der Regel ganz unten im Regal). „Irgendetwas“ zu nehmen ist aber genau die schlechte Entscheidung – das fühlt der Kunde.
3. Zu große Auswahl macht nicht zufriedener weil man sich nie sicher ist, ob die Wahl die richtige war. Vielleicht nicht gerade bei Duschgel, extrem aber bei höherwertigen Konsumgütern.

Ein aktuelles Rätsel ist, warum diese Tatsachen an den Marktbetreibern spurlos vorüber gehen. Im Gegenteil. Speziell bei Duschgel gibt es immer mehr und immer neue Produkte. Wer ein Maracuja-Lavendel- und ein Erdbeer-Aloe-Duschgel im Angebot hat, kommt irgendwann garantiert auf die Idee ein Maracuja-Aloe-Aroma zu kreieren.

Wem das nicht reicht, um zu verstehen, dass die meisten Kunden das weder wollen noch brauchen, sollte vielleicht folgendes berücksichtigen:
Wie gesagt, das Duschgel-Regal ist sechs Meter breit. Da fast alle Produkte in dieser Vielfalt erhältlich sind, erklärt dies, warum ein simpler Drogeriemarkt eine Fläche von mehreren hundert Quadratmetern benötigt und ständig weiter wächst. Da solche Ladenmonster innerorts kaum noch Platz haben, weichen sie auf die grüne Wiese aus.

Falls es sich dabei um eine Streuobstwiese gehandelt hat, sollte man fragen dürfen, ob es sich lohnt, ein solches Biotop wegen ein paar Duschgels zu opfern. Boden ist eine nicht erneuerbare, gerade in Deutschland knappe Ressource. Es lohnt sich, damit vorsichtig umzugehen.

Und wer das nicht versteht, sollte vielleicht bedenken, dass die Riesenauswahl viele Kunden einfach nur verärgert. Erstens, weil sie längst nicht mehr differenzieren können (Maracuja-Aloe oder Erdbeer-Lavendel?). Zweitens, weil sie ihr gewünschtes Produkt in dieser Menge nicht finden. Vielleicht wäre weniger besser, für Händler und die Kunden. Sicher, zurück zum Tante-Emma-Laden, der zwei Duschgels führte, ist wohl keine Option. Außerdem ist bei zwei zur Auswahl stehenden Duschgels die Wahrscheinlichkeit geringer, dass mein Lieblingsprodukt dabei ist. Diese Wahrscheinlichkeit ist in einem Drogeriemarkt, der fast alle Produkte führt, größer.
Vorausgesetzt, man findet es.
——-

Hier ein wunderbares Stück über den Preis- und Produktirrsinn
diesmal bei Rasierklingen (Tom König, SPON).