Tausend Tote und fast tausend Folgen:
Mord und Totschlag scheinen glänzenden
Unterhaltungswert zu haben.
Und um ein kulturelles Highlight handelt
es sich ganz sicher auch.
Eine ganze Seite Mord und Totschlag – jetzt auch in der Zeitung. Man fragt sich, ob die Journalistenkollegen nichts Besseres zum Schreiben hatten. Oder man fragt sich, warum Mord und Totschlag, nicht nur für die Betroffenen, bzw. Getroffenen, plötzlich eine so große Bedeutung haben. Neulich (am 30. Januar 2016) troff fast eine ganze FAZ-Feuilleton-Seite von Krimiblut. Oben großer Bericht zum „Tatort“, wie neuerdings fast immer, unten Bericht über „München Mord“. Vor allem der Tatort wird inzwischen in fast allen Zeitungen so ausführlich beschrieben, dass man den Film gar nicht mehr zu sehen braucht, um anderntags mitreden zu können.
Das mag an den Quoten liegen, die fast immer bombastisch sind. Da war der jüngste Tatort (am 31. Januar 2016) mit 9,34 Millionen zuschauermäßig eher Mittelklasse. So gesehen der beste Tatort lief am 1. Januar 1978 und versammelte 26,57 Millionen Menschen vor dem Fernsehgerät.
Das ist nicht gut. Eine Fernseh-Krimi-Analyse aus dem Buch „Die Bombe im Wohnzimmer:
6. Kapitel: Gewalt – ein Blutozean von all den hingemetzelten Fernsehtoten.
Im Advent, also mitten in den Vorbereitungen für das Fest der Liebe, wie jedenfalls die Restchristenheit hierzulande Weihnachten sieht, muss es wohl ganz besonders schlimm sein.
Der „Schrott des Gemetzels“ verstopfe die Kanäle selbst im Advent, schreibt Jan Wiele in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. Dezember 2012 (Seite 29). Das Maß an beiläufiger Blutgier sei voll. Im Unterbewusstsein habe sich längst ein Blutsee, ach was, ein Blutozean von all den hingemetzelten Fernsehtoten gesammelt. Wobei Wiele nicht nur die Gewalt im Fernsehen an sich, sondern auch deren Beiläufigkeit kritisiert. „Wenn man ungezielt das Fernsehen einschaltet, stehen die Chancen gut, dass sich im Programm gerade Forensiker über Eintritt- und Austrittswinkel von Projektilen unterhalten und darüber, ob diese auf ihrem Weg noch Gehirnmasse mitgenommen haben.“
Beiläufig ist inzwischen auch die Zahl der Toten. Waren es 46? Oder 57? Menschenleben – beiläufig eingefügt! Egal. Hauptsache spannend. In dieser Hinsicht galt der Tatort „Im Schmerz geboren“ als einer der besten seit langem, wie die Zeitung „Der Tagespiegel“ lobt .
An jedem Ort passiert ein Mord: „Auch das schnuckligste englische Kleinstadtidyll ist nicht mehr ohne Metzeltatort zu denken, der gleich hinter dem Pub, im Blumenladen oder am besten natürlich in der Kirche liegt. “
Genau. Und übrigens kommt auf der Folgeseite dieser Zeitungsausgabe (Seite 30) das Fernsehprogramm, wo es in einer Bildunterschrift heißt: „ZDF, 20.15 Uhr, Unter anderen Umständen, Jana Winter (Natalia Wörner) ermittelt in einem mysteriösen Mordfall in einem Kloster.“
A propos Kloster. Auch in guten Büchern, die oft als Vorlage für schlechte Filme dienen, geht der Tod um. Man denke an Umberto Ecos „Der Name der Rose“ oder an Willmanns „Das finstere Tal“. Auch Dan Brown ist keine Erbauungsliteratur. Der Unterschied ist das Beiläufige. Beiläufig-zufällig gerät man selten an so ein Buch – an einen Fernsehkrimi schon.
Acht Krimis hat Professor Dr. Helmut Assfalg aus Jena am Freitag, 10. Januar 2014 im ZDF gezählt und fragt in seinem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung : „Sind wir denn ein Volk von Kriminellen oder von Voyeuren krimineller Taten? Kriegt man die Leute nur noch mit solchen Angeboten vor den TV-Bildschirm? … In der FAZ-Fernsehvorschau ist einmal von Strangulation mit einer Krawatte, ein anderes Mal vom abgetrennten Kopf eines Mädchens die Rede… Ich möchte einfach nicht glauben, dass sich der Durchschnittsdeutsche stumpfsinnig einen Krimi nach dem anderen reinziehen will.“
Der Unterschied zwischen Buch und Film ist auch die eigentliche Darstellung von Gewalt. Im Buch spritzt kein Blut, bei aller schriftstellerischer Kunst. Nicht zu reden von – ja, unzähligen Filmen, wobei ein „Django unchained“ noch als guter Film gilt.
Unterdessen ist in vielen Fernsehkrimis der grausame Mord nicht mehr ausreichend. Eine Orgie der Gewalt ist so mancher ARD-Tatort. Wie von Sinnen prügelnde Jugendliche, wie von Sinnen prügelnde Polizisten, dazu ein Selbstmord durch Erschießen vor aller Augen. Die Gewalt-Spirale sei überspannt, lautete die TV-Kritik zu einem ARD-Tatort .
Aus dem Buch Die Bombe im Wohnzimmer.