Ans Band

Wenn die deutsche Wirtschaft nicht in der
Lage ist, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt
zu integrieren, sieht es schlecht aus.
Hier ein Vorschlag, wie wir es vielleicht
schaffen könnten.


Der Oberbürgermeister der Stadt Rottenburg am Neckar, Stephan Neher, sagte einmal in Bezug auf Flüchtlinge sinngemäß: Wenn 43 Leute in einer Wirtschaft sitzen, reicht es auch für einen weiteren, der hinzukommt1.

Im Prinzip hat er recht – aber nicht ganz.
Es ist nicht eine Wirtschaft.
Es ist die Wirtschaft.

Die deutsche Wirtschaft spielt in der Flüchtlingsfrage die entscheidende Rolle. Noch kümmern sich Kommunen, Landkreise, das Rote Kreuz, die christlichen Kirchen und ein Heer von Freiwilligen um ein Dach für Flüchtlinge sowie alles weitere.
Irgendwann jedoch müssen die Flüchtlinge das selbst tun.
Das heißt, sie brauchen Geld.
Sie brauchen einen Job.

Hier ist die Wirtschaft, sind die Unternehmen am Zug.
Viele Unternehmen und Wirtschaftsverbände haben auch eigentlich ermutigende Antworten gegeben.
Zum Beispiel im Mittelstand. Flüchtlinge seien in Familienunternehmen gefragt, heißt es (FAZ, 29.12.2015) und der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, Lutz Goebel, sagt: „Es braucht viel Zeit und Geduld. Sprache und Qualifikation sind häufig ein Hindernis. Doch die Motivation der Menschen ist überdurchschnittlich“ (merke: viel Zeit und Geduld).
Viele große Konzerne sehen das auch so. Der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, meint ebenfalls, diese Menschen seien nach Deutschland gekommen, um sich etwas aufzubauen, „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land, so Zetsche2 (Spiegel online, 28.01.2016).
Natürlich sind alle Unternehmen in Deutschland aufgerufen, hier etwas zu tun: Volkswagen, Siemens, Adidas, BMW, Edeka und Aldi, Thyssenkrupp ebenso wie Post und Telekom – aber auch Springer, Häfele und Pfleiderer. Eben alle.
Einige davon haben sich jetzt zu einer Initiative namens „Wir zusammen“ zusammengeschlossen3.

Weniger leicht ist eine Antwort auf die Frage, wie viele Flüchtlinge jedes Unternehmen nimmt. Das wird wohl der „Markt“ beantworten, aber ein kleiner Anhaltspunkt wäre schon recht.

Vielleicht hilft da das Gleichnis von Oberbürgermeister Neher. Sitzen 43 Leute in der Wirtschaft, kommt ein Flüchtling hinzu…
Das wäre eine Quote von 2,3 Prozent.

Exkurs: Eine Quote von 2,3 Prozent ist sportlich – wobei es sich um die 43 im Wirtshause versammelten nicht um arme Schlucker handelt. Wir sind ja in Baden-Württemberg. Das muss man auch berücksichtigen, wenn je wieder die Sprache auf eine gleichmäßige Verteilung innerhalb der Europäischen Union kommen sollte. Nähme die Slowakei nun doch welche, müssten es wohl deutlich weniger als 2,3 Prozent sein.
Für eine Stadt wie Rottenburg am Neckar (43.000 Einwohner) bedeutet das die Aufnahme von knapp 1000 (989) Flüchtlingen.
Für ein normales deutsches Dorf, einen Ortsteil dieser Stadt, beispielsweise ein Dorf mit 1200 Einwohnern, sind das dann 28 Männer, Frauen und Kinder. Kein Problem, wenn es dabei bleibt.
Für Baden-Württemberg: 248.000 Personen
Für Deutschland: 1.874.000 Personen

Das so ins Werk gesetzt, wäre ein bedeutender Beitrag zur Linderung der Flüchtlingsnot auf dieser Welt.

Aber: Noch hat die Integration auf dem Arbeitsmarkt noch nicht so recht begonnen. Gleichwohl rechnet das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) damit, dass im Jahresschnitt 2016 rund 99.000 Flüchtlinge erwerbstätig sein werden, 2017 sollen es 276.000 sein (FAZ, 2.02.2016).

Die größten Hürden auf dem Weg zur Erwerbstätigkeit sind rechtlicher Natur, ferner die oft fehlende Qualifikation, fehlende Nachweise der Qualifikation sowie die Konditionen, sprich der Lohn. Der Mindestlohn ist vielen Betrieben zu hoch, wir haben einen reduzierten Mindestlohn von 5,75 Euro4 vorgeschlagen.

Die Debatte um den Mindestlohn ist inzwischen im Mainstream angekommen mit den üblichen verhärteten Positionen: Die CDU ist für einen niedrigeren Mindestlohn, die SPD meint, so würden Flüchtlinge gegen andere Arbeitnehmer ausgespielt und zu Lohndrückern gemacht.
Tatsächlich muss die Frage gestellt werden, warum die Unternehmen nicht auch den hiesigen Arbeitslosen, mindestens zwei Millionen, in der EU mindestens 17 Millionen5, ebenso „viel Zeit und Geduld“, wie oben zitiert, widmen.

Ein Kompromiss, den wir dringend und ganz schnell brauchen, könnte so aussehen: Der Mindestlohn wird auf 5,75 Euro gesenkt. Dafür verpflichten sich die Unternehmen, oder werden verpflichtet, eine bestimmte, an der Quote orientierte, Anzahl von Leuten neu einzustellen. Seien es Flüchtlinge, wenn das genau die Leute sind, die „wir“ suchen, wie Zetsche sagt, seien es „Altarbeitslose“, zum Beispiel Langzeitarbeitslose.

Wenn wir es schaffen wollen, müssten zumindest die Großbetriebe voran gehen. Sie haben eine Vorbildfunktion und sind als Arbeitgeber besonders attraktiv. Sie müssten zuerst und demnächst eine ordentliche Zahl von Flüchtlingen beschäftigen, am besten dauerhaft und mit dieser Quote6. So könnte zum Beispiel die Deutsche Bahn in ganz Deutschland fast 7000 Leute mit aktuellem Migrationshintergrund in Lohn und Brot bringen. Oder, ein Beispiel aus der Industrie: Daimler, Werk Sindelfingen, über 26.000 Beschäftigte, dort müssten zusätzlich 600 Leute hingestellt werden.

Vielleicht erst mal ans Band.

 

1 Genau genommen, sagte er nicht „Wirtschaft“, sondern „Gaststätte“,  Spiegel online

2 Spiegel online

3 wir-zusammen.de

4 Mindestlohn/Flüchtlinge: 5,75 Euro für Salih

5 Arbeitslose in Europa

6 Hier stimmt etwas nicht, das mit der Quote ist tückisch: 2,3 Prozent sind die Quote in Bezug auf die Gesamtbevölkerung. Die Zahl der Beschäftigten ist aber nur halb so hoch. Also müssten auch die 2,3 Prozent halbiert werden. Kann man machen – allerdings handelt es sich bei „der Wirtschaft“ um den leistungsfähigsten Teil der Gesellschaft. Man kann andererseits davon ausgehen, dass nur die Hälfte der Flüchtlinge überhaupt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht (z. B. Kinder und Jugendliche nicht). Der Autor will nur sagen, dass es sich bei der Zahl der Flüchtlinge, welche in die Betriebe aufgenommen werden, um eine relativ relevante Zahl handeln muss, also nicht, dass der Großkonzern mit 500.000 Beschäftigten meint, okay wir nehmen auch fünf Flüchtlinge.