Experimente in der Wirtschaftsordnung
sind ein großes Thema. Warum also nicht mal
mit festen Preisen für Milch, Fleisch und Brot
experimentieren. Jawoll, Preisbindung!
Wie beim Buch. Die Ziele: eine sichere Existenz
für die Bauern, gute Ware für den Verbraucher.
Viele volkswirtschaftliche Experimente sind recht gewagt. Zum Beispiel das so genannte bedingungslose Grundeinkommen1 oder das Helikoptergeld2. Auch der jetzt tatsächlich realisierte Mindestlohn ist letztlich ein Experiment, bei dem man nicht genau weiß, wie es ausgehen, bzw. ob die erhoffte Besserstellung von Geringverdienern eintreten wird. Der Mindestlohn ist ja nichts anders als eine Preisbindung, nämlich ein fester Preis für die Arbeit.
Feste Preise gelten also auch für Bücher, in Deutschland und in einigen weiteren Ländern der Europäischen Union. Buchpreisbindung – so heißt das3. Anderswo, natürlich in den USA, kommt so ein Eingriff in die Marktwirtschaft nicht infrage. „Dieser Eingriff in die freie Marktwirtschaft wird vor allem damit gerechtfertigt, dass dem Buch als Kulturgut eine Sonderstellung zukomme und die Buchpreisbindung ein vielfältiges Buchangebot sowie eine flächendeckende Versorgung durch kleinere Buchhandlungen gewährleiste“ (Wikipedia). Und weiter aus der selben Quelle zitiert: „Ökonomisch gesehen bedeutet eine Buchpreisbindung, dass ein Preiswettbewerb zwischen Buchhändlern unterbunden wird. Im Vergleich zum Vollkommenen Markt ist diese Einschränkung des Wettbewerbs ineffizient und führt zu höheren Preisen, niedrigeren Verkaufsmengen und überhöhten Gewinnen der Produzenten (Monopolgewinne).“ Was hier als Kritik dasteht, ist ja genau der springende Punkt: höhere Preise, niedrigere Mengen und Gewinne der Produzenten. Und der Preiswettbewerb, hier zwischen Buchhändlern, dort zwischen Lebensmitteleinzelhändlern ist für die Produzenten das Ruinöse.
So gesehen wäre jetzt eine Preisbindung für Milch, Fleisch, Brot und vielleicht Eier genau das richtige. Produzenten sind hier die Bauern und dass die „überhöhte Gewinne“ einfahren, kann man ja weiß Gott nicht behaupten. Feste Preise für bestimmte Nahrungsmittel – eine recht junge Idee, wenngleich alles schon mal getwittert wurde und es, historisch gesehen, eine Brotpreisbindung in Frankreich schon einmal gegeben hat.
Ideen wie diese, in die Wirtschaftsordnung einzugreifen, sind unter Ökonomen immer umstritten, das sollte uns nicht am Denken hindern. Zu denken geben sollte nur eine mögliche Auswirkung fester Preise: das ist die Gefahr der Knappheit. Das darf nicht passieren, dass Lebensmittel knapp werden. Zieht man allerdings die Lehren aus der Buchpreisbindung, ist Knappheit sicher nicht eingetreten. 70.000 jährliche Neuerscheinungen auf der Buchmesse in Frankfurt zeugen nicht von Knappheit.
Preismäßig könnte das dann so aussehen: Ein Bauer sagt, der Schlachthof zahle ihm nur 1,53 Euro für das Kilo Schwein4. Brauchen würde er 1,80 Euro, um die Substanz zu erhalten und zu investieren. Das gönnen wir dem Bauern. Gönnen wir ihm noch einen Risikoaufschlag, eine Tierwohlzulage und eine Investitionszulage von jeweils zehn Prozent. Dann müsste der Schlachthof 2,44 Euro bezahlen. Der verdoppelt die Wertschöpfung und verlangt vom Einzelhandelseinkauf 4,88 Euro. Der Einzelhandel verdoppelt den Preis wiederum, um sein Auskommen sicher zu stellen. Also zahlt der Verbraucher durchschnittlich knapp zehn Euro (9,76 €) für ein Kilo Schweinefleisch, für den Bauchspeck etwas weniger, für das Filet etwas mehr.
Ob das nun viel oder wenig ist, ist wie immer relativ. Ob das zu einer Unterversorgung der unteren Einkommensschichten mit Fleisch führt, ist Teil des Experiments. Der Zyniker würde sagen, weniger Fleisch sei eh gesünder. In Bezug auf das Buch heißt es in der schon genannten Quelle: „Insbesondere Geringverdiener sind von höheren Bücherpreisen negativ betroffen.“ „Negativ betroffen“ heißt dann, der Geringverdiener kann sich weniger Fleisch leisten. „Negativ betroffen“ ist aber derzeit vor allem der Bauer. Er ist der Geringverdiener.
Da könnte nun mancher auf die Idee kommen, prima, dann machen wir doch eine allgemeine Preisbindung, feste Preise für alles. Vom Auto bis zur Zahnpasta. Nein, eben nicht. Beim Buch gibt es die Ausnahme, die Sonderstellung, weil es ein Kulturgut – für unser kulturelles Überleben und unsere geistige Entwicklung essentiell ist. Und ohne Milch, Fleisch, Brot usw. überleben wir gar nicht. Es gibt nur einzigen Wirtschaftszweig, der wirklich „systemrelevant“ ist und eine Sonderstellung verdient– die Landwirtschaft.
Um es noch deutlicher zu sagen: Wir könnten zur Not auf das Auto verzichten. Sorry, Automobilisten. Zur Not könnten wir zu Fuß gehen, mit dem Rad oder mit der Bahn fahren. Wäre ohnehin klüger. Wir könnten auch auf das Buch verzichten, oder Zeitungen, oder Zeitschriften, oder auf diesen Blog.
Wir können nicht auf das Brot verzichten. Auch nicht zur Not. Das wäre dann Hungersnot.
Also sehen wir zu, dass unsere Bauern keine Not leiden.
Eine Not, die viele Bauern auf die „Discounterisierung“ zurückführen5.
Hier wäre der Ansatz für ein weiteres Experiment.
Später.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Helikoptergeld
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Buchpreisbindung
4 Schwäbisches Tagblatt, 3. Juni 2016
5 Schwäbisches Tagblatt, 4. Juni 2016