Wohnst DU schon? Vorsicht vor Unternehmen,
die Sie Duzen! Hier geht es nicht um die pronominale
Anredeform, sondern um ein dreckiges Geschäft.
Es geht um den Mangel an Respekt,
plumpe Anbiederung und die Hoffnung,
einem Geduzten sei es leichter, etwas zu verkaufen.
Vermutlich war es ein schwedischer Möbelkonzern, der mit dem Duzen auf breiter Front begonnen hat. Und nur für dieses schwedische Möbelhaus gelten mildernde Umstände, da im Herkunftsland eine Anredeform vergleichbar mit dem deutschen SIE oder dem englischen YOU weitgehend unbekannt ist.
Doch hierzulande geraten immer mehr Unternehmen in den Verdacht, sich mit dem DU bei potenziellen Kundinnen und Kunden anschleimen zu wollen. Kürzlich bedankte sich ein Fernbusunternehmen mit „Danke, dass DU bei uns gebucht hast“, ein Internetversandhaus schreibt „Entdecke DEINE neuen Lieblingsstücke“, ein Autokonzern wirbt mit dem klugen Spruch „Es geht um mehr als ein Auto. Es geht darum, wohin es DICH führt“, der große Suchmaschinenmonopolist fragt „Meintest DU:“ und ein Lieferservice verspricht „Wir liefern, DU genießt.“. Inzwischen gilt das wohl in bestimmten Managementkreisen als modern, genauso wie es als modern gilt, Automobile, deren Zweck eigentlich die Fortbewegung ist, mit Internet auszustatten. Man will jung und innovativ wirken.
Dabei ist es das genaue Gegenteil. Das ungefragte Verwenden des DU außerhalb des Familien- und Freundeskreises ist eine grobe Unhöflichkeit.
Das gilt für den deutschen Sprachraum und erst recht für den englischsprachigen Raum. Nein, in Großbritannien und USA duzen sich nicht alle – es siezen sich alle. Da das Duzen (THOU) oft mit Geringschätzung verbunden war, ist man dazu übergegangen, das höflichere YOU gegenüber jedermann zu verwenden, auch in der Familie. Als korrekte Anrede der Eltern galt auch auf dem Kontinent lange das SIE.
Es gab, grob historisch betrachtet, einige Anredeformen, das Ihrzen, das Erzen, der Pluralis Majestatis, das Duzen aber blieb dem gewöhnlichen Volk vorbehalten. Duzen drückte nicht nur Vertraulichkeit, sondern auch Dominanz und Respektlosigkeit aus. Für die Herren waren die einfachen Leute bloß ein DU wert. Das gemeine Volk wurde von Klerus und Adel geduzt1.
Vergessen wir diese soziologisch-historischen Begebenheiten. Das moderne Marketing-DU ist aus einem anderen Grund eine Respektlosigkeit. Gewissen Unternehmen reicht es nicht mehr, sich als „Partner“ darzustellen, auch das schon eine Vokabel, die gnadenlos überstrapaziert wurde, nein, heute will das Unternehmen „Freund“ sein.
Und wenn das Unternehmen „Freund“ ist, darf der Freund auf der anderen Seite, früher „Kunde“ genannt, einiges erwarten:
Dein Freund, das Unternehmen, macht Dir immer das beste Angebot.
Dein Freund, das Unternehmen, macht Dir immer den besten Preis.
Dein Freund, das Unternehmen, ist wer ganz Nettes, wer hat schon Halunken als Freunde, ist auch zu Dir immer nett und ehrlich.
Dein Freund, das Unternehmen, ist zu Dir auch dann nett und höflich, wenn Du etwas zurückgeben willst. Kulanz hieß das früher im Geschäftsleben, heute unter guten Freunden selbstverständlich.
Dein Freund, das Unternehmen, ist natürlich auch zu Mitarbeitern und Lieferanten immer edel, hilfreich und gut.
Dein Freund, das nette schwedische Möbelhaus, macht doch für sein Möbelholz keine Wälder in Osteuropa platt. Freunde tun das nicht.
Dein Freund, der nette Autokonzern betrügt natürlich nicht bei den Abgaswerten und entlohnt sein Führungspersonal leistungsgerecht.
Und wenn Dich Dein Freund, das Unternehmen, schon auf der Schwelle zum Geschäft umarmt, wer kann sich da beim Kaufen zurückhalten. Ja, was heißt „kaufen“?
Es ist ein Freundschaftsdienst, eine heitere Win-Win-Situation.
Natürlich ist das alles keine Katastrophe, man muss es nur wissen: Das DU ist ebenso wie der Begriff FREUND von den Marketingabteilungen okkupiert worden. Bei einem Autohersteller, dessen Image ramponiert ist, ist das Duzen neuerdings Teil einer Charmeoffensive – man will für einen Guten gehalten werden.
Darüber hinaus soll das DU verkaufsfördernd wirken. Sonst nichts.
Daher ist es auch sinnlos, sich über kulturhistorische Zusammenhänge des Duzens und Siezens Gedanken zu machen. Werbeleute gehen mit dem DU heute bewusst und gezielt auf Kundenfang.
Unterdessen verbreitet sich das DU weiter.
Zum Beispiel seitens der Personalabteilungen. Besonders perfide ist es, Kandidatinnen und Kandidaten schon in der Stellenanzeige zu duzen. Wen suchen die HR-Leute? Sklaven? Wie lautet dann die Anrede in der Bewerbung? Was bedeutet das für das Vorstellungsgespräch? Was, wenn der Personalchef ein Mann ist, und die sich vorstellende Person eine Frau? Dann ist doch das ungefragte DU erst recht eine nicht akzeptable Grenzüberschreitung. Harvey Weinstein lässt grüßen.
Respekt geht anders.
Zu denken gibt, dass sich im Bundestagswahlkampf 2021 der damalige Kanzlerkandidat Olaf Scholz ausgerechnet mit dem Slogan „Respekt für Dich“ plakatieren ließ, wo doch das Duzen genau das Gegenteil von Respekt ist.
Oder, weiteres Beispiel, in den Medien. „Außergewöhnlichen Urlaub kannst du auch in Deutschland machen“, lautet die Überschrift in einem Internetmagazin. Zum Beispiel in der Politik, wie kürzlich Claudia Scholz im Magazin Cicero2 schrieb. Eine Ansprache der Bürger seitens der Regierung wie sie das schwedische Möbelhaus pflegt – ein „So-tun-als-wär-man-befreundet“.
Bürger? Kleinkindern gebührt diese Anrede, nicht aber erwachsenen Menschen. Beispiele für den pseudo-kumpelhaften Facebook-Jargon: „Digitalisierung und Du“ (Wirtschaftsministerium), „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“ (Verteidigungsministerium).
Auch die Kanzlerin bügelt in ihrer Anrede gegenüber Flüchtlingen jeglichen Respekt und die Grenze von Nähe und Distanz nieder, in dem sie Sätze wie „ihr seid willkommen“ verwendet.
Vielleicht bedeutet das jetzt, dass wir Persönlichkeiten, denen man in allen Gesellschaften Achtung entgegenbringt, einfach duzt.
Zum Beispiel Spitzenpolitiker oder Senioren.
Das hört sich dann so an:
„Na, Angela, hast Du heute schon fleißig regiert?“
oder
„Hallo Ingvar3, Du, wie geht’s Dir denn heute?“
Dem DU folgt ein absurder Personalisierungshype: Dein Herbst, Dein Weihnachten, Dein Radio… Selbst Medien schrecken vor nichts mehr zurück. Normalerweise lernt man in der Journalistenschule, Leserinnen und Leser / Zuschauerinnen und Zuschauer / Userinnen und User nicht anzusprechen, da ja in der Regel kein Kontakt besteht. Gut, die Fernsehleute haben sich schon lange darüber hinweggesetzt („Schön, dass Du zuschaust.“). Jetzt aber die Printkolleginnen und -kollegen: „Und was wirst DU jetzt tun? Mach es zu Deinen Herbst!“ schreit uns schon die Titelseite entgegen.
Einfach links liegen lassen.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Pronominale_Anredeform
2 http://www.cicero.de/berliner-republik/politiker-verlernen-das-sie-der-duz-buerger/60921
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Ingvar_Kamprad
Über das DU im Arbeitsleben
meedia.de
Der Arzt und Sozialmediziner Gerhard Trabert fordert dazu auf, Kontakt mit Obdachlosen zu suchen, um ihnen ihr Selbstwertgefühl zurück zu geben.
Wichtig: „Immer Siezen, das bedeutet Respekt“!
SWR1 Leute, 16.02.2022
(aktualisiert am 25.02.2022)