Leise gackert das Huhn – unsere Sommerstory

Das Huhn. Ein perfektes Symbol des Friedens,
wenn es (Sonntags) leise gackert. Leise.
In dieser Ruhe gedeihen allerlei Gedanken,
zum Beispiel, dass die Taube als Friedens-
symbol völlig ungeeignet ist oder auch der
eine oder andere Businessplan.
Leise gackert das Huhn, leise. Nicht das aufgeregte ga-ga-ga-gaah! wenn es ein Ei gelegt hat oder morgens niemand mit den Hühnern aufgestanden ist, um den Stall zu öffnen, nein.
Es ist dieses langgezogene gaaaaaaaa-ck, das Bände spricht. Dann nämlich ist ein warmer Sommertag, an dem die eine Hälfte der Hühnerschar träge pickend durchs Gras läuft, hin und wieder ein Mücklein erwischt und eben gaaaaaaaa-ck macht. „Agathe singt“, sagt die Hühnerumsorgerin, die die Stimmen der einzelnen Tiere auseinander halten kann. Die andere Hälfte der Hühnerschar hat sich im Schatten im Sand verbuddelt. Dösend.

Es gibt kein schöneres Klangbild für einen ruhigen Sommertag. Abgerundet durch das tschilp-tschilp der Spatzen und das ziwitt-ziwitt der Rauchschwalben. Wenn es ein Sonntag ist, dann ist es so ein Sonntag, über den der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt1 dichtete: „Wenn die Spinne Langeweile, Fäden spinnt und ohne Eile, giftig-grau die Wand hochkriecht…“ Ach was, nichts Giftiges, keine Langeweile, nur perfekte Ruhe, perfekter Friede.

Drum fragt man sich, wie eigentlich ausgerechnet die Taube das Symbol des Friedens werden konnte. Da gibt es eine ganze Reihe antiker Texte, welche der Taube diese Deutung gegeben haben, nicht zuletzt die Stelle aus der Genesis, wo die von Noah ausgesandte Taube mit dem Olivenzweig zurückkehrt und das Ende der Sintflut sowie den Friedensschluss zwischen Gott und den Menschen darstellt. Das Huhn wäre an dieser Stelle nicht ganz so praktisch gewesen, da es nicht fliegen kann. Folglich kann es auch nicht von oben kommen und ist als Symbol für den Hl. Geist eher ungeeignet.

Aber: Die Taube ist an sich kein friedliches Tier. Oder, wie unser Online-Lexikon so schön formuliert2: „Das Symbol der Friedenstaube hat keine verhaltensbiologische Entsprechung, da Tauben im Vergleich zu beispielsweise Falken untereinander sehr aggressive und angriffslustige Tiere sind.“ Unsere Hühner zoffen sich zwar hin und wieder und dissen die junge Rita, die später hinzukam, aber im Großen und Ganzen vertragen sie sich recht gut. Es sind friedliche Tiere. Sie sind auch als Haustiere ganz schmusig, nicht ganz so schmusig, wie manches Kätzchen, aber immer noch schmusiger als eine Bartagame. Sie sind verträglich und von freundlichem Wesen, heißt es allgemein in der Hühner-Enzyklopädie3. Über unsere Rita, ein sogenanntes „Bielefelder Kennhuhn“ steht da: „Vom Wesen her sind die Tiere ruhig und zutraulich…“.

Das perfekte Friedenssymbol ist also das Huhn. Wo Hühner frei herumlaufen können herrscht Frieden.

Frieden als Abwesenheit von Krieg. Denn im Krieg ernähren sich die kämpfenden Truppen meist nicht vom eigenen Nachschub an Vorräten, sondern „aus dem Lande“. Plündern ist Mittel der Kriegsführung. Die deutsche Wehrmacht plünderte die russischen Bauern ebenso aus, wie die Ritter und Landsknechte im Mittelalter und im Dreissigjährigen Krieg sowie die Legionen Roms. Meistens waren der Boden, dessen Erträge und Schätze, auch der eigentliche Kriegsgrund. Wenn die Speisekammern der Bauern der Bauern leergeraubt waren, ging es an die Ställe.

Dann kam zuerst das Huhn dran. Später auch Schweine, Kälber und alles andere, das Huhn aber zuerst, weil es sich am schnellsten in einen schmackhaften Braten verwandeln lässt. Das Schlachten von Kälbern und Schweinen dauert länger und ist komplizierter. Frei laufende Hühner waren in Kriegszeiten Fastfood und Takeaway. Also herrscht, wo Hühner frei laufen können, Friede.

Wo Hühner frei herumlaufen können herrscht auch Friede im Kampf Krieg Mensch gegen Tier. Denn obwohl man heute ganz selten Hühner sieht, schon gar nicht frei herumlaufende, eilt der Verzehr von Hühnerfleisch von Rekord zu Rekord. Das ist kein Wunder, denn die Massentierhaltung ist die herrschende Wirtschaftsform. Bei keinem anderen Lebewesen wie dem Huhn ist das Halten und Töten so perfekt industrialisiert. Und praktischerweise für den Verbraucher nahezu unsichtbar, gewollt, denn die Bauernverbandsfunktionäre, die jede andere Haltungsart als „Träumerei“ bezeichnen, wollen den Verbraucher ja nicht erschrecken.

Wo Hühner frei herumlaufen können herrscht auch Friede im Kampf Krieg Mensch gegen Technik. Wo Hühner frei herumlaufen, können auch Kinder frei herumlaufen. Auf Wegen und Straßen, die, zumindest in Wohnvierteln, nicht zu Pisten für eilige Autofahrer planiert wurden.

Doch Hühner sind nicht nur das perfekte Friedenssymbol, sondern auch das perfekte Nutztier. Es ist pflegeleicht, braucht wenig Platz und vielleicht kann es ja durch Eierproduktion zum Lebensunterhalt beitragen.

Angenommen, das Ziel wäre 450 Euro hinzuzuverdienen.
Ein Bioei kostet rund 40 Cent das Stück (am besten regional, geht aber auch online, wo ein Shop verspricht „Frische Eier von freilebenden Hühnern, die behutsam umsorgt werden!“).
Angenommen, dem Produzenten, also der Hühnerumsorgerin oder dem Hühnerumsorger, blieben 20 Cent.
Dann bräuchte man im Monat 2250, im Jahr 27.000 Eier. Bei einer „Legeleistung“ pro Huhn von 270 Eiern würden dann schon 100 Hühner reichen.

100 freilaufende Hühner auf einem großen Grundstück mit schattenspendenden Obstbäumen und ein vielstimmiges gaaaaaaaaa-ck. Das perfekte Idyll.

 

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Josef_Degenhardt

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Friedenstaube

3 Esther Verhoef/Aad Rijs, Illustrierte Hühner-Enzyklopädie, Edition Dörfler