Der Bundeshaushalt 2016 steht voraussichtlich
vor einem Milliardenüberschuss. Und schon
gibt es Stimmen, die Steuersenkungen fordern.
Ganz falsch! Richtig wäre es, die Schulden
des Staates zu senken. Tilgen! Jetzt!
Wenn nicht jetzt, wann dann? Aber Schulden scheinen gar keine Rolle zu spielen.
Die Leitmedien bringen das Thema „Steuern runter“ groß heraus, zum Beispiel im Spiegel1 und auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung2 bringt die Sache ausführlich, sogar auf der Titelseite. Demnach haben Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen laut Statistischem Bundesamt im ersten Halbjahr 2016 einen Überschuss von 18,5 Milliarden Euro erzielt. Und sofort sprechen sich alle für „Entlastungen“ aus – der Oberschicht, der Mittelschicht oder der Unterschicht. Die einen wollen eine höhere Schwelle für den Spitzensteuersatz, andere eine Entlastung von Familien und Geringverdienern. Nur die Worte „tilgen“ oder „rückzahlen“ kommen nicht vor.
Damit hat sich die Politik perfekt im sogenannten Halb-Keynes eingerichtet. Der der ganze Keynes sah vor, vereinfacht gesagt, mit einer Politik des Deficit Spending3 staatlicherseits in Wirtschaftskrisen Schulden aufzunehmen und damit die Konjunktur wieder anzukurbeln. Heute ignoriert die Politik, die zweite Hälfte der Keynes-Idee: Das Defizit sollte durch Haushaltsüberschüsse in guten Zeiten wieder ausgeglichen werden. Haushaltsüberschüsse?
In schlechten Zeiten Kredite aufnehmen, in guten Zeiten nichts zurückbezahlen – dieser Halb-Keynes hat sich weltweit durchgesetzt mit der logischen Konsequenz für die Staatsschuld. Die deutsche Staatsschuld4 belief sich am 1. September 2016 auf rund 2260 Milliarden Euro.
In anderen Ländern sieht es noch viel schlimmer aus, wobei nicht Griechenland oder Italien das Problem sind, sondern die USA. Der Präsidentschaftskandidat5 und Universitätsprofessor Laurence Kotlikoff sagt, die Verschuldung der USA betrage nicht, wie offiziell angegeben,
18 Billionen, sondern 199 Billionen US-Dollar (entspricht ungefähr 1100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liegt damit etwas über der „Mastricht-Grenze“ von 60 Prozent).
Der Schuldenberg wachse jedes Jahr um 5 Billionen, welche die Kinder und Kindeskinder belasten. Ob der Professor Rückzahlungen oder Tilgungen plant, steht vielleicht in seinem 157 Seiten umfassenden Wahlprogramm, im entsprechenden FAZ-Artikel6 ist davon jedoch keine Rede.
Diese Tilgungs- und Rückzahlungsverweigerung ist Ausdruck einer allgemeinen Gleichgültigkeit in Sachen Zukunft, die sich am treffendsten in dem Ausspruch „Nach uns die Sintflut“ widerspiegelt. Diese „Jetzt-alles-sofort-Mentalität“ ist besonders deutlich an unserem Umweltverhalten zu sehen. Eigentlich ist dem Mainstream die Umwelt völlig egal.
Hauptsache, Wachstum. Jüngstes Beispiel sind die Kaffeekapseln, die durch ihren immensen Rohstoffverbrauch und ihr unglaublich schlechtes Verhältnis von Inhalt (6-7 Gramm Kaffee) zu Verpackung (2-3 Gramm). Bei einer 500 Gramm-Packung sind es rund 15 Gramm Verpackung. Aber: Angebot, Verbrauch und Marktanteil des Kapselkaffees nehmen immer weiter zu, obwohl die desaströse Umweltbilanz niemandem mehr verborgen ist7. Spinnt man den Faden weiter zu Klimawandel und Klimaerwärmung, einschließlich des Anstiegs des Meeresspiegels, bekommt der Spruch „Nach uns die Sintflut“ eine spannende Bedeutung.
„Nach uns die Sintflut“ gilt auch für den Bundeshaushalt 2016. Die Posten „Bundesschuld“ und „Allgemeine Finanzverwaltung“ umfassen 40,1 Mrd. Euro, bzw. 12,7 Prozent8. Hinzu kommt ein Zuschuss zur Rentenversicherung, der bald 100 Mrd. Euro übersteigt. Von Tilgung keine Spur, jedenfalls nicht merklich, da der Schuldenstand weiter zunimmt, nämlich um rund 1500 Euro pro Sekunde.
Tilgung wäre allerdings eine gewaltige Aufgabe, die sich weit in die Zukunft erstreckt. Angenommen, man wollte mit dem Überschuss dieses Jahres (18,5 Mrd. Euro) beginnen und jedes Jahr diesen Betrag zurückzahlen, würde das bei einem Schuldenstand von 2260 Mrd. Euro rund 123 Jahre dauern. also bis zum Jahre 2239. Natürlich dürften die nachfolgenden fünf Generationen gar keine Schulden aufnehmen, was immer auch passiert. Da kann man auch fragen, mit welchem Recht die jetzigen Generationen diese Schulden aufgehäuft haben.
Aber das durchschauen nur wenige. Einer davon ist der Karikaturist Horst Haitzinger. Er stellt das „Billionen-Schulden-Loch“ bildlich dar, darin der deutsche Michel mit dem Finanzminister und einem kleinen Geldsack, worin sich der diesjährige Überschuss befindet9.
Na dann, zahlt mal schön brav zurück.
1 Titelstory DER SPIEGEL Heft 34/2016, Titelstory „Steuern runter!“
2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. und 26.08.2016
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Deficit_spending
4 staatsschuldenuhr.de
5 Das amerikanische Wahlrecht sieht nicht nur die beiden Spitzenkandidaten vor. Nach einer Überprüfung durch die Behörden kann sich jeder auf eine Kandidatenliste setzen lassen und ist somit wählbar. Kotlikoff ist einer der ernst zu nehmenden Kandidaten, der zumindest in ökonomisch gebildeten Kreisen ein beträchtliches Ansehen zu genießen scheint.
https://kotlikoff2016.com
6 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.2016
7 Südwest Presse, 26. August 2016
9 Südwest Presse, 26. August 2016
P.S.: Grün-Schwarz zahlt Altschulden ab: Erstmals seit Gründung des Landes Baden-Württemberg im Jahr 1952 ist eine Landesregierung willens, Schulden zu tilgen.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2017)
Schuldenuhr läuft jetzt rückwärts
(welt.de, 22.12.2017)