Die Arbeitsproduktivität steigt
fast gar nicht mehr.
Vielen Ökonomen ist das ein Rätsel.
Aber: Hier kommt jetzt die Lösung!
Des Rätsels Lösung heißt „Mensch“. Der Leistungsfähigkeit des Menschen sind natürliche Grenzen gesetzt. Ich gebe dazu gerne ein einfaches Beispiel.
Stellen Sie sich einen Bauarbeiter vor. Dieser muss mit einer Schubkarre Sand von Punkt A nach Punkt B transportieren. Je nachdem wie groß die Entfernung zwischen A und B ist, schafft er in einer bestimmten Zeit, die Sandmenge X. Punkt.
So errechnet sich die Arbeitsproduktivität, Ausbringungsmenge (Sand) geteilt durch eingesetzte Arbeitszeit1. Natürlich kann der Baustellenbetreiber versuchen, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Er kann den Arbeiter dazu anhalten, schneller zu gehen. Oder einfache technische Maßnahmen ergreifen: eine größere Schaufel, eine bessere Schubkarre.
Ich erinnere mich an den Bauernhof meines Großvaters. Da gab es eine Schubkarre mit einem eisenbeschlagenen Holzrad. Gummiräder sind natürlich flotter. Dennoch kann man sagen,
dass die mechanische Schubkarre mittlerweile als ausgereift gilt. Mit einer Motorisierung wäre mehr möglich, dann ist es aber keine Schubkarre mehr. Und auch die Motorisierung hat Grenzen.
Mehr versprechend sind organisatorische Maßnahmen wie die Reduzierung der Entfernung zwischen A und B. Und so weiter und so fort aber all dem sind Grenzen gesetzt. Irgendwann kann der Arbeiter nicht mehr, nicht schneller und nicht schwerer. Punkt.
Das ist bis hierhin relativ einfach. Aus dieser Banalität hat nun die Frankfurter Allgemeine Zeitung2 ein Rätsel gemacht. In dem Artikel heißt es, dass viele Ökonomen nicht verstehen, warum die Produktivität nicht mehr wächst. Sie rätseln, ob die Statistiken falsch seien. Demnach kann es sich keiner erklären, warum die Arbeitsproduktivität in den USA sogar sinkt, und auch in Europa quasi nicht mehr wächst. Viele halten das für beunruhigend, weil das Wachstum der Produktivität angeblich der Weg zum Wohlstand sei.
Ob das nun richtig oder falsch ist: Wir müssen uns damit abfinden und hinnehmen, dass das Wachstum der Arbeitsproduktivität bzw. der Produktivität insgesamt (Maschinen- und Materialproduktivität) Grenzen hat. Denn vom Produktivitätsstillstand werden künftig immer mehr Bereiche betroffen sein.
Nehmen wir mal die Logistik, denn ein Lkw ist ja nichts anderes als eine große Schubkarre. Eines der größten Probleme und gleichzeitig Produktivitätspotenziale ist die Auslastung. Der Laster fährt idealerweise voll beladen von A nach B und leer wieder zurück. Es gibt zahlreiche Versuche, dieses Problem organisatorisch, hauptsächlich softwareseitig und mit Internetplattformen, zu lösen. Angenommen, es gelänge, die Auslastung auf 100 Prozent zu erhöhen, das heißt, der Laster fährt von A nach B und von B nach A (oder C) wieder voll beladen. Dennoch gibt es Grenzen, von denen an die Produktivität nicht mehr zu steigern ist. Größe, Gewicht – da gibt es gesetzliche Beschränkungen (18,75 Meter lang, 40 Tonnen schwer). Wobei die Spediteure schon seit langem versuchen, Groß-Lkw, sogenannte Gigaliner3 mit 60 Tonnen Gewicht und 25,25 Meter Länge durchzusetzen. Das ist noch in der Testphase.
Definitiv sind auch hier die Grenzen fahrerseits. Es gibt Lenk- und Ruhezeiten. Daher arbeiten Lkw-Hersteller und Spediteure mit Vehemenz am fahrerlosen Lkw. Ein Bericht über die diesjährige IAA Nutzfahrzeuge in Hannover trug den Titel4 „Trucker bitte aussteigen“.
Das ist die Tendenz.
Vermutlich sind auch was die Auslastung und Belastung von Straßen betrifft,
längst Grenzen erreicht.
Dass sich dies nun insgesamt auf die gesamte Volkswirtschaft auswirkt, USA und Europa, liegt auch am Wandel von der Agrar- zur Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft.
Allen Arbeiten, Dienstleistungen inklusive, die Menschen erbringen, sind durch deren natürlicher, variierender persönlicher Leistungsfähigkeit Grenzen gesetzt. Beispiele?
Der Postbote schafft eine bestimme Anzahl von Briefen und Paketen in einem Bezirk.
Der Journalist eine bestimmte Anzahl von Zeichen, je nach Rechercheaufwand.
Der Koch eine bestimmt Anzahl von Mahlzeiten.
Was ein Programmierer schafft, weiß ich nicht. Programmierzeilen?
Ebenso wenig was ein Krankenpfleger schafft. In dem genannten FAZ-Artikel heißt es, in den USA sei die Arbeitsproduktivität von den 1950-Jahren bis heute um 330 Prozent gewachsen. Ich bezweifle, dass zum Beispiel ein Krankenpfleger damals die Menge x Patienten, heute die Menge x mal 3,3 und in weiteren siebzig Jahren 3,3x mal 3,3 Patienten schafft.
Oder ich will nicht Patient sein.
Ist es überhaupt sinnvoll, hier mit Produktivitätskennzahlen zu rechnen?
Es gibt weitere Bereiche, wo das zweifelhaft ist.
Bei einer Polizistin. (Zahl der Verhaftungen?)
Bei einem Pfarrer. (Länge der Predigt?)
Bei einem Bestatter. (Tiefe der Grube?)
Wenn wir uns von der Arbeitsproduktivität ab- und der Material- und vor allem der Maschinenproduktivität zu. Hier gibt es immer wieder technische Maßnahmen, um die eingesetzten Maschinenstunden bzw. die Materialmenge zu reduzieren. Vor allem in der Industrie. Aber es gibt auch hier Grenzen. Sicher ist die menschliche Innovationskraft unbegrenzt. Die großen Erfindungen, Dampfmaschine, Computer, Internet, sind jedoch singuläre Ereignisse. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass uns immer wieder etwas Großes, Neues einfällt, welches unser Dasein revolutioniert. Vielleicht auf viele kleine Verbesserungen, die sich aber auch in niedrigeren Produktivitätskennziffern niederschlagen. Daran ist nichts Rätselhaftes.
Am Rande bemerkt: Die größten Produktivitätsfortschritte in den vergangenen hundert Jahren erzielte man vermutlich in der Landwirtschaft. Mit Traktoren über 500 PS und Mähdreschern, die eine Schnittbreite von zwölf Metern haben, ist vermutlich auch hier die Grenze erreicht, von der an es mit kleineren Schritten weiter geht.
Kleinere Schritte sind auch in Industriebetrieben angesagt. Hier hat das Produktivitätswachstum die Volkswirtschaften nach oben gerissen. In einer mannmäßig großen Organisation gibt es mehr Verbesserungspotenzial als im Einmannbetrieb. Schon weil mehr Menschen in der Regel über Verbesserungen nachdenken. Hier besteht aber die Gefahr, dass man Arbeitsplätze wegrationalisiert und überhaupt: auch hier Grenzen5.
Anstatt zu rätseln, warum also die Arbeitsproduktivität gar nicht mehr oder nur langsam wächst, sollten sich die Ökonomen (mich eingeschlossen) überlegen, wie wir den Wohlstand dennoch bzw. gerade deshalb erhalten.
Das ist das Rätsel. Das ist die Herausforderung.
1 Arbeitsproduktivität in Wikipedia
oder allgemeiner nach Wöhe (Einführung in die Allgemeine
Betriebswirtschaftslehre): Wirtschaftlichkeit = Ertrag dividiert
durch Aufwand
2 FAZ, 8.09.2016: „Das Produktivitäts-Rätsel“
3 sueddeutsche.de: Groß, größer, Gigaliner
4 spiegel.de: Trucker bitte aussteigen
5 zabota.de: „So stirbt die Marktwirtschaft/Wachstum und Produktivität“