Kein Euro für Wiki

Haste mal `n Euro?
Wikipedia sammelt Spenden.
Ein Beweis, dass nicht alles
kostenlos sein kann,
was gratis ist.

Mit einem Euro gibt sich Wikipedia allerdings nicht zufrieden.
Alle Jahre wieder wirbt die so genannte „freie Enzyklopädie“ um Spenden. Vorschlag: 5, 25 oder 250 Euro? Gerne mehr, einzutragen in ein freies Feld.

Das riecht nach Bedürftigkeit, ist tatsächlich aber Bedarf
und völlig in Ordnung.

Schließlich entstehen Wiki Kosten, für die irgendjemand aufkommen muss. 82 hauptamtliche Mitarbeiter2 hat Wikimedia Deutschland. Weil das Menschen sind, brauchen sie was zu essen, bitte sehr. Außerdem gibt es Büros in Berlin, Servern und allem Pipapo. Das kostet Geld, ganz konkret, nichts Wolkiges, wie der Begriff „Cloud“ dauernd insinuieren soll1.

Nicht in Ordnung ist es, so zu tun, als ob alles nichts kosten würde.
Ein „globales Ehrenamtsprojekt“ Freies Wissen! Überall zugänglich!

So ein Quatsch! Das Zusammentragen und Zugänglichmachen von Wissen ist eine Dienstleistung, die kostet. Wie übrigens auch der Journalismus. Natürlich darf Wissen kein Luxusgut werden.
Wissen muss ein für alle Menschen erschwingliches Grundbedürfnis3 nach Zabota bleiben. Doch auch andere Grundbedürfnisse nach Maslow, wie zum Beispiel Nahrungsmittel und ein Dach über dem Kopf, kosten Geld.

Kann sein, dass die Autoren ehrenamtlich arbeiten, nichts essen und im U-Bahn-Schacht wohnen. Oder Studenten sind. Diese sollen an der Uni Heidelberg lernen, statt Hausarbeiten Artikel für die gemeinnützige Online-Enzyklopädie zu verfassen4. Es sei motivierend, nicht nur für sich selbst, sondern für eine breite Öffentlichkeit zu schreiben, heißt es. „Die Resonanz der Wikipedia-Community könne sich zudem positiv auf die Note auswirken“, sagt ein Philosophiedozent. Außerdem könnten die Studenten so der Gesellschaft etwas „zurückgeben“.

Die Dozenten weisen auch darauf hin, dass die Wikipedianer (also Nutzer) sehr streng in ihrem Urteil seien, ob ein Artikel lesenswert sei.

Wikipedia-Nutzer stellen also, wie andere User auch, die höchsten Ansprüche an die Qualität eines Textes, sind aber nicht bereit, etwas dafür zu bezahlen. Werbung, wollen sie, wie alle anderen User, auch nicht sehen.

Deswegen bleibt die Kasse leer. Kein Geld.
Auch für die Autoren nicht, oder besser,
gerade für die Autoren nicht.

Haben Sie, Autor, sich eigentlich schon gefragt, warum der festangestellte Typ in Berlin, der für die Server zuständig ist, Geld bekommt, Sie aber nicht? Wo doch das eigentlich Wichtige das Wissen, neudeutsch Content, ist, und nicht die ollen Kupferkabel, die ja nur Medium sind, wie bei der Zeitung das Papier.

Und Papier braucht ja schließlich auch keiner. Zum Beispiel die unten angegebene Quelle Nummer 2. Ich habe den Beitrag in der gedruckten Ausgabe gelesen. Schon einen Tag vorher (auch das noch!) erschien er genau so, vollumfänglich in der Online-Ausgabe faz.net und war bei Fertigstellung dieses Artikels frei abrufbar.
Wie blöd muss man sein, um 62,90 Euro pro Monat für’s Papier zu bezahlen?

Und bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung handelt es sich ja um ein Qualitätsmedium, ebenso wie die Zeit, ARD, Spiegel oder das Schwäbische Tagblatt. Das sei an dieser Stelle nur gesagt, weil es immer mal wieder heißt, im Internet gebe es viele dubiose Quellen, auf die man sich nicht verlassen könne und dürfe.
Stimmt. Doch es ist ganz leicht und leider ganz selbstverständlich, sein Wissen rundum aus seriösen, renommierten Quellen zu schöpfen.
Oft sogar besser, immer schneller.

Freies Wissen, alles gratis, ist eine Illusion. Schließlich kosten auch Lehrer, Dozenten und Hochschullehrer Geld. Genau das beweist die Spendenaktion der „freien Enzyklopädie“, nachdem sie die Lexikon-Branche ruiniert hat.

Wie wäre es denn mit einem ehrlichen Geschäftsmodell? Wiki hat täglich bis zu zehn Millionen Nutzer. Angenommen, jeder Zehnte schließt ein Monatsabonnement für einen Euro ab. Dann sind das 12 Millionen Euro im Jahr5. Mit der Spendenaktion sollen 8,6 Millionen zusammen kommen.

Für’s Abo würde ich den Euro locker machen – nicht für’s Betteln.

 

1 beschaffung-aktuell.de, 5.09.2013: Die Cloud ist ein Bunker in Utah
2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11.2016:  Wikipedia bettelt wieder
oder faz.net, 22.11.2016: Braucht Wikipedia unser Geld?
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/faz-net- faktencheck-braucht-wikipedia-unser-geld-14533521.html
3 Wikipedia-Eintrag: Grundbedürfnis
https://de.wikipedia.org/wiki/Grundbedürfnis
4 http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/uni-heidelberg-alternative-zur-hausarbeit-wikipedia-eintrag-als-leistungsnachweis-a-1135556.html
5 Frage am Rande: Warum machen die das nicht? Vermutlich deswegen, weil der Silberstreif eines funktionierenden digitalen Geschäftsmodells am Horizont sofort Nachahmer, sprich Wettbewerber auf den Plan rufen würde. Wer es sich leisten kann, ruiniert Konkurrenz dauerhaft, indem er seine Waren/Dienstleistungen verschenkt.

P.S.: Zu der Spendenaktion gibt es auch Boykottaufrufe,
wenngleich aus anderen Motiven:
http://sciencefiles.org/2012/09/03/aufruf-zum-spendenboykott-von-wikipedia-deutschland/