… ist schwer zu beziffern. Doch da müssen wir durch.
Durch einen „Fast-Urwald“.
Tief im Rammert gibt es einen Bannwald. Der Rammert ist ein etwa 7500 Hektar großes Waldgebiet südwestlich von Tübingen. Ein Bannwald ist in der Regel ein Waldstück, das nicht mehr bewirtschaftet wird. Hier soll sich „Urwald von morgen“ entwickeln, wie es auf einem Hinweisschild heißt, hier soll sich Natur frei entfalten können – meistens wissenschaftlich begleitet.
Dass dieser Bannwald mit dem schönen Namen „Göggenwäldleshalde“ „tief“ im Rammert liegt, hat ebenfalls seinen Grund. Auf dem Schild heißt es: „Beachten Sie: Im Bannwald ist die Gefahr durch herabfallende Äste und umstürzende Bäume besonders groß.“ Da der Waldeigentümer, in diesem Fall die Stadt Rottenburg am Neckar, eine Verkehrssicherungspflicht hat, ist es gut, wenn die umstürzenden Bäume möglichst wenige Wanderer erschlagen. Es empfiehlt sich, so ein Projekt fernab von frequentierten Wanderwegen, Straßen oder Parkplätzen durchzuziehen.
Aber: Jeder darf den Bannwald frei betreten. Dann ist tatsächlich der erste Eindruck, im Bannwald herrsche ein wildes Durcheinander umgestürzter Bäume (weswegen wohl das Motto des Nationalparks Schwarzwald „Eine Spur wilder“ heißt). Das gehört so. Gebiete mit reichlich Totholz, wie die Forstwissenschaft das nennt, sind von großem Artenreichtum gekennzeichnet, ökologisch besonders wertvoll und für den Erhalt der Biodiversität enorm wichtig.
Also ist so ein naturbelassener Wald ein Wert an sich, der in Euro und Cent gar nicht fassbar ist. Es gibt einen Grund, es dennoch zu versuchen, doch dazu später. Klar ist, dass der Wert des Waldes als reiner Geldbetrag sich entweder an einem Marktpreis orientiert, gesetzt den Fall, er käme zum Verkauf, oder an den Kosten des Nutzungsverzichts. Das heißt, in der Regel will der Waldbesitzer ja einen Ertrag aus dem Holzverkauf, auf den er Bannwald verzichtet.
Unser Bannwald Göggenwäldleshalde hat eine Größe von 26 Hektar. Ohne das jetzt kleinreden zu wollen, diese 26 Hektar sind ein ökologisches und ästhetisches Kleinod, aber im Vergleich eben doch eher klein. Der Nationalpark Schwarzwald umfasst etwas über 10.000 Hektar, der im Bayerischen Wald gut 24.000 Hektar, das sind 100 bzw. 240 Quadratkilometer. Und zum weiteren Vergleich: Der Yosemite-Nationalpark in den USA umfasst über 3000, der Yasuni-Nationalpark in Ecuador über 10.000 Quadratkilometer.
Nun sehen die Kosten der Nichtnutzung einer Waldfläche hierzulande in etwa so aus: Fläche x Ertrag in fm/Fläche x Preis/fm. Angenommen, ein Hektar würde acht Festmeter Nadelholz pro Jahr abwerfen, und angenommen der Preis läge bei rund 70 Euro/Festmeter nach Abzug der Rückekosten, dann verzichtet der Waldbesitzer rein pekuniär betrachtet auf 560 Euro pro Hektar im Jahr.
Einen Hektar Waldes unter Schutz zu stellen „kostet“ jährlich also über den Daumen gepeilt 560 Euro – was natürlich nicht der wahre Wert des Waldes ist, weder für den Waldbesitzer noch für die Allgemeinheit. Ganz kurz: Wald dient dem Naturschutz, der Erholung, sorgt für sauberes Wasser, schützt vor Hochwasser, Lawinen und Erosion. Ganz wichtig: Der Wald sorgt für ein gutes Klima, lokal mit einfach guter Luft und global als CO2-Senke. Darunter versteht man die Fähigkeit, CO2 zu binden, also eben den Stoff zu neutralisieren, von dem wir Menschen katastrophal viel produzieren.
Ein ganz wichtiger CO2-Speicher für die gesamte Menschheit ist der tropische Regenwald. Zum Beispiel in Südamerika. Der Yasuni-Nationalpark in Ecuador wurde hier schon genannt. Aus gutem Grund. Der Nationalpark ist ein ökologisch sehr wertvolles UN-Biosphärenreservat mit 4000 Pflanzen- und 570 Vogelarten. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Arten pro Hektar als hier. Doch ausgerechnet unter diesem Wald wurde ein großes Erdölfeld entdeckt. Nun hat der damalige Präsident Ecuadors, Rafael Correa der Weltgemeinschaft vorgeschlagen, sein Land verzichte auf die Einnahmen aus dem Erdölverkauf und erhalte den Wald, wenn es dafür die Hälfte der potenziellen Einnahmen erstattet bekomme. Er forderte 350 Millionen Dollar, heute gut 300 Millionen Euro, sozusagen für den Schutz des Waldes. Eine berechtigte Forderung, denn es ist eine antiquiert-kolonialistische Ansicht, die Regenwaldanrainer sollten aus Klimaschutzgründen ihren Wald erhalten, während wir in der sogenannten entwickelten Welt den Großteil der klimaschädlichen Emissionen verursachen und dazu noch jeden Quadrarmeter Waldes bei uns ganz selbstverständlich nutzen wollen. Warum sollte also Ecuador seine eigenen Interessen fallen lassen, die Armut (mit Einnahmen aus Ölverkauf) zu verringern, nur um für die Welt das Klima zu retten, fragte Tim Niendorf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und 300 Millionen Euro? Ein Schnäppchen, zumal auf Deutschland nur 50 Millionen Euro entfielen (also ein Sechstel, fünf Sechstel entfallen auf andere Industrienationen), die der Deutsche Bundestag auch in Aussicht gestellt hat.
50 Millionen jährlich – ein Schnäppchen? Nun, vergleichen wir die Yasuni-Kosten mit dem Bannwald im Rammert. Yasuni hat eine Größe von 10.000 Quadratkilometern, das wären dann 5000 Euro pro Quadratkilometer, 50 Euro „Schutzgeld“ pro Hektar.
Der Schutz des Yasuni-Regenwaldes käme demnach vergleichsweise billig. Doch es kam dann so: Der damalige FDP-Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel verweigerte sich der Yasuni-Initiative strikt. Nun fließt das Öl (nach China) mit allen Folgen für das Klima und das empfindliche Ökosystem des ecuadorianischen Urwaldes.
Freilich hinkt der Vergleich zwischen Yasuni und Göggenwäldleshalde allein wegen der Größe. Ökologisch wertvoll sind beide Waldgebiete. Ein Besuch lohnt sich auch im Rammert. Mächtige Buchen und Eichen empfangen den Wanderer, trockene Ebenen und feuchte Senken, wo der seltene Winterschachtelhalm, der frisches, quelliges Wasser braucht, wächst, wechseln sich ab. Die Tannen, die hier zwar eigentlich nicht heimisch sind, aber schon vor langer Zeit gesetzt wurden, zählen zu den höchsten in Deutschland. Und ganz unten im Tal des Baches sieht der Bannwald, tief im Rammert, schon fast aus wie ein Urwald.
_______
Die geführte Wanderung durch den Bannwald Göggenwäldleshalde kam auf Initiative des Förderkreises Botanischer Garten Tübingen zustande, der ganzjährig ein spannendes Programm bietet.
Zum Botanischen Garten Tübingen geht es hier.
Die Führung hatte Stefan Ruge, Professor für Botanik und Waldbau-Grundlagen und unter anderem Leiter des forstbotanischen Gartens (Arboretum) an der Hochschule Rottenburg.
Zur Hochschule geht es hier.
Der genannte Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien unter dem Titel „Deutschlands Platz im Regenwald“ am 27.08.2018. Thema ist eine Äußerung des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner, wonach er sich vorstellen könne, Regenwald in Südamerika aufzukaufen und unter Schutz zu stellen. Genau das, was sein Parteifreund Niebel abgelehnt hat, obwohl er eine einzigartige Gelegenheit dazu gehabt hätte.
Zu Hompage der Zeitung geht es hier.