Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel nimmt weiter zu –
jetzt geht es den Naturkostläden an den Kragen.
Tante Emma ist schon lange tot. Der kleine Laden, der alles hat. Der kleine Laden, den alle aufsuchen, die einkaufen müssen. Der kleine Laden, in dem auch Platz ist für Kommunikation, was ja ursprünglich ein genauso wichtiger Grund gewesen ist, Läden und Märkte aufzusuchen, wie die eigentliche Besorgung von Lebensmitteln. Mancherorts wünscht man sich lieber das genossenschaftlich geführte Geschäft des Typs „Unser Dorfladen“ in der Ortsmitte an der Stelle des Discounters am Ortsrand.
Die letzten Läden, die so halbwegs dem „Tante-Emma-Typ“ entsprechen, sind die Naturkost-Einzelhändler. Mit dem Verkauf von Biowaren und nur von Biowaren, oft von Lieferanten aus der Region, haben sie ihre Nische und ihr Auskommen gefunden.
Und diesen Einzelhändlern geht es jetzt an den Kragen.
Edeka hat angekündigt, unter dem Label „Naturkind“ eigene Bioläden zu betreiben. Der erste Markt öffnet im Spätsommer in Hamburg.
Hört sich nicht schlecht an. Wer der Meinung ist, bio sei besser, freut sich sicher, wenn noch mehr Menschen bio einkaufen. Doch das ist die eine Seite der Medaille, die glänzende, wozu auch gehört, dass ja Edeka doch Einiges für mehr Nachhaltigkeit und ökologische Korrektheit tut.
Die andere Seite der Medaille: „Edeka sagt Biomärkten den Kampf an1“ und eröffnet eine neue Runde im Verdrängungswettbewerb des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Allerdings ist diese Runde höchst unfair. Auf der einen Seite der Milliardenkonzern, auf der anderen Seite ein paar tausend noch selbstständige Einzelhändler.
Doch nicht nur an der Fairness fehlt es.
Wenn sich einer der Großen in einer der letzten Nischen breit macht, nimmt die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel weiter zu. Bereits jetzt beherrschen vier Unternehmen 85 Prozent des Marktes2. Das ist gefährlich, weil sie den Lieferanten immer niedrigere Preise diktieren können, das ist langweilig, weil alle das gleiche Sortiment haben und das ist gegen die Ordnung der Wirtschaft, deren Wesen Wettbewerb ist. Oligarchen und Monopolisten wollen wir nicht.
Selbst innerhalb des Naturkostfachhandels nahm in der jüngsten Zeit die Konzentration zu. Es gibt immer mehr Biosupermärkte, während die kleinen Einzelhändler auf dem Rückzug sind. Waren 2010 rund 75 Prozent der Läden Bio-Fachgeschäfte mit mit eher kleineren Flächen und 13 Prozent Bio-Supermärkte, haben letztere ihren Anteil bis 2017 auf rund 27 Prozent mehr als verdoppelt, während der Anteil der kleineren Geschäfte auf 60 Prozent zurückgegangen ist. Mit jeweils 13 Prozent blieb die Zahl der Hofläden stabil3. Auch der steigende Umsatz mit Biolebensmitteln geht an den Kleinen vorbei zu den Großen4.
Die Frage ist, ob es die Großen überhaupt ehrlich meinen, wenn sie ihre Biosortimente immer weiter ausbauen. Es könnte ja sein, dass sie damit nur Kunden in ihre Läden locken wollen5. Und zwar hochinteressante Kunden. Kunden, die bereit sind, für ökologisch korrekte Ware deutlich mehr Geld auszugeben. Und dann kommen sie ja auch am übrigen Sortiment vorbei. Vielleicht ist derjenige, der gerade einen Ökoziegenkäse für 49 Euro das Kilo in den Wagen gelegt hat, dankbar, wenn er nebenan die Milch für 49 Cent findet. Mischkalkulation nennt sich das.
Die Frage ist außerdem, ob sich die Marktmacht der großen vier dann bald auf die Biobranche ausdehnen wird. Mit starkem Druck auf die Preise von Erzeugern und Lieferanten.
Wie das ausgeht, ist schon klar. Fast ganz verschwunden sind die inhabergeführten Drogerien und Reformhäuser, Bäcker und Metzger6. Nun sind die Naturkost-Einzelhändler dran, wie zuvor zigtausende Einzelhändler, die konventionelle Lebensmitteln führten. Nicht zu vergessen, zigtausende von Einzelhändlerinnen. Emmas Ende.
1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.04.2019: Edeka sagt Biomärkten Kampf an
2 deutschlandfunk.de, 29.03.2016: Die gefährliche Macht der großen Vier
https://www.deutschlandfunk.de/supermarkt-ketten-die-gefaehrliche-macht-der-grossen-vier.724.de.html?dram:article_id=349689
3 bio-markt.info, 25.04.2018: Strukturen im Naturkost-Einzelhandel: Was sich seit 2010 verändert hat
https://bio-markt.info/berichte/strukturen-im-naturkosteinzelhandel-was-sich-seit-2010-veraendert-hat.html
4 welt.de, 14.02.2018: Bio boomt – außer beim Naturkostfachhändler
https://www.welt.de/wirtschaft/article173563680/Lebensmittel-Bio-boomt-ausser-beim-Naturkostfachhaendler.html
5 handelsblatt.com, 20.04.2019: Der Kampf um die lukrative Bio-Kundschaft ist entbrannt
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/einzelhandel-der-kampf-um-die-lukrative-bio-kundschaft-ist-entbrannt/24237332.html?ticket=ST-502506-5c2qke1DQf9PD69VHfga-ap1
6 spiegel.de, 28.04.2019: Meine Mutter stand neben mir und hat geweint
https://www.spiegel.de/karriere/lebensmittelhandwerk-schliessung-von-metzgereien-und-baeckereien-a-1264549.html