Der Wald: Wenn weg, dann weg

Brasilien rodet seinen Wald im Rekordtempo. Na und?

In Deutschland ist Entwaldung nichts Neues. Historisch gesehen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Land größtenteils kahlgeschlagen. Bereits im Mittelalter , um das Jahr 1300 gab es bereits eine Holznot1. Das lag zum einen daran, dass Rodungen als kulturelle Großtat galten, zum anderen war der Holzbedarf immens. Die Häuser der einfachen Leute waren aus Holz, zum Heizen und Kochen war nichts anderes da als Holz, das Vieh wurde in den Wald getrieben, die Herstellung von Holzkohle verschlang enorme Mengen an Buchenholz, Grubenholz war gefragt, ebenso Bauholz für Schiffe, für die Herstellung von Papier, Eisenbahnschwellen, wir lebten nicht mehr in einer Stein-, Bronze- oder Eisenzeit, sondern einer Holzzeit. Eigentlich bis heute. Somit war es ein kahler Boden, auf dem der Begriff „Nachhaltigkeit“ entstand. Das heißt: Einfach nicht mehr entnehmen als nachwächst. Der deutsche Wald war gerettet.

Und nun nach Brasilien. Allein im Juli 2019 sind dort 2254 Quadratkilometer Regenwald der Motorsäge zum Opfer gefallen, viermal so viel wie im Juli 2018 (das entspricht einem knappen Fünftel der gesamten Waldfläche in Baden-Württemberg – in einem Monat!). Die Entwaldung schreitet im Rekordtempo voran.
Das wäre allein die Sache dieses Landes, würde der noch riesige brasilianische Amazonaswald nicht als „Grüne Lunge des Planeten“ gelten. Aus diesem Grunde haben einige Industrieländer, allen voran Deutschland, Norwegen und Großbritannien, viele Milliarden Euro für den Schutz des Regenwaldes bereitgestellt. „Wer das Klima retten will, der muss den Regenwald retten und seine Zerstörung stoppen“, sagte Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. Der Schutz von Tropenwald und Klima könne nur gemeinsam, also mit Brasilien, gelingen2.
Gemeinsam? Brasilien ist wohl nicht mehr dabei. Präsident Jair Bolsonaro sagt, wir sollten das Geld nehmen und Deutschland damit aufforsten. Dort sei es viel nötiger als in Brasilien3.

Also zurück nach Deutschland. Mal abgesehen davon, dass die Worte des brasilianischen Präsidenten ein diplomatischer Affront sind, ökologisch kurzsichtig und er überhaupt ein neoliberaler Knochen ist – hat er nicht ein bisschen recht?
Tatsächlich sieht es hierzulande doch so aus, dass die wirtschaftliche Nutzung des Waldes absolute Priorität hat. Mehr als 99 Prozent unseres Waldes ist Wirtschaftswald. Unser Holzhunger ist, wie der anderer Industrieländer, noch immer gigantisch. Und nimmt tendenziell zu, da Heizen mit Holz und Bauen mit Holz als ökologisch besonders korrekt gelten. Trotz Digitalisierung und papierlosem Büro steigt der Papierverbrauch in Deutschland, vor allem wegen des ebenfalls wachsenden Onlinehandels (Verpackungen). Als bedenklich ist es auch zu werten, dass wir aus Möbeln, die, da aus Holz, eigentlich langlebig sind, Wegwerfprodukte gemacht haben. Ein Trend, der in Schweden seinen Ursprung hat und dem tausende Quadratkilometer nordische Nadelwälder zum Opfer fallen. Schließlich sollten wir auch davon wegkommen, unser Vieh mit Soja aus Brasilien zu mästen statt artgerecht mit hiesigem Heu und Gras. Als ebenso regenwalderhaltend könnte es sich erweisen, nicht in jedes Lebensmittel, das bei uns industriell hergestellt wird, Unmengen von Palmöl hineinzubuttern.

Daraus ergeben sich für Deutschland zwei Konsequenzen: Erstens aufforsten, zweitens möglichst viel Wald aus der Nutzung herausnehmen und unter Schutz stellen.
Das Aufforsten hat einen quantitativen und einen qualitativen Aspekt. Der quantitative Aspekt ist, dass derzeit viele Waldbesitzer in großer Not sind, weil die Fichte fällt. Dem Brotbaum der Waldwirtschaft machen die Trockenheit und der Borkenkäfer zu schaffen. Viele Flächen, auf denen die Fichte stand, müssen neu aufgeforstet werden. Zum quantitativen Aspekt zählt auch, dass wir mehr Waldflächen brauchen. Hier müssen wir uns auf eine Studie der ETH Zürich verlassen, die besagt, die Aufforstung wäre die effektivste Maßnahme gegen den Klimawandel, wohlgemerkt, global gesehen und unter Ausschluss von Siedlungsflächen und landwirtschaftlich genutzten Flächen4. Wir sollten auch bei uns Flächen suchen, um den Waldbestand zu mehren. Schließlich sind wir, gemessen pro Kopf, die größten Verursacher der CO2-Emissionen und tragen somit wesentlich mehr zum globalen Overshoot bei als die Menschen in Brasilien. Qualitativ gesehen gilt es, Baumarten zu finden, die bei uns auch unter klimatisch veränderten Bedingungen gut wachsen. Was nicht so einfach ist. Wer weiß schon, was in 120 Jahren sein wird? Daher ist eine Äußerung der Bundesumweltministerin Svenja Schulze nicht sehr hilfreich, die sagte, die Fehler der Vergangenheit, dürften nicht wiederholt werden5.

Die andere Konsequenz ist, selbst in Deutschland mehr Wälder aus der Bewirtschaftung herauszunehmen und unter Schutz zu stellen. Wir brauchen mehr Naturwaldreservate. Was ebenfalls nicht so einfach ist. In Deutschland sind daher nur 0,3 Prozent der Waldfläche sich selbst überlassen6. Davon brauchen wir mehr und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind Naturwälder ein ökologischer Wert an sich, und zweitens kann Deutschland nicht überall auf der Welt nach Schutzgebieten rufen und diese finanzieren, zuhause aber nichts tun. Pläne, in Deutschland Waldschutzgebiete zu errichten, rufen in der Regel einen Proteststurm hervor. Was war das für ein Kampf um den Nationalpark Nordschwarzwald (100,62 Quadratkilometer, 0,73 Prozent der Waldfläche des Landes, siehe auch den Beitrag Ende der Esche)! Und stellen wir uns vor, wie die indigene Bevölkerung des Nordschwarzwaldes reagieren würde, wären Forderungen und finanzielle Mittel aus Brasilien gekommen.

Womit wir also wieder in Brasilien wären. Erst wenn wir unsere eigenen Wälder schützen und schätzen, können wir uns auch in Brasilien glaubwürdig und konsequent für den Erhalt des Regenwaldes einsetzen.

 

1 Quelle: Wilhelm Koch / Vom Urwald zum Forst / Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1957
2 bmz.de, Pressemitteilung vom 7.07.2019: „Brasilien-Reise von Minister Müller: Schutz von Tropenwald und Klima kann nur gemeinsam gelingen“
3 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.08.2019: „Nehmt die Knete und forstet bei euch selbst auf“
4 ETH Zürich, Medienmitteilung vom 4.07.2019: Wie Bäume das Klima retten können
5 deutschlandfunk.de, 16.08.2019: Schulze: Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen
6 Wikipedia-Eintrag: Naturwaldreservat

(Siehe auch „Earth Overshoot Day“ und „Liste der Länder nach CO2-Emission„)