No Nimby

Die Windkraft steht still aber der Nimby war’s nicht. Wer dann?

Ah, Sie wissen nicht was ein Nimby ist. Nimby ist die Abkürzung für „Not in my Backyard“. Nimbys sind Menschen, die etwas supergut finden – aber bitte nicht in ihrem „Hinterhof“, also nicht nebenan, sondern sonstwo. Hauptsache weit weg.
Spielplatz? Ja, selbstverständlich. Aber doch nicht hier.
Umgehungsstraße? Ja, unbedingt! Aber doch nicht hier.
Windkraftanlage? Ja, prima! Aber…

Und genau die Windkraftanlagen sind es, die derzeit niemand mehr haben will. Der Zubau ist nach 2017 praktisch zum Erliegen gekommen. 2017 sind in Deutschland 1792 Anlagen in Betrieb gegangen, 2018 waren es 743, im ersten Halbjahr 2019 nur noch 86. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr wäre das ein Zehntel von 2017.

Das hat zum einen politische Gründe, vereinfacht gesagt, zum anderen kommt jetzt der Nimby ins Spiel. Das Narrativ lautet so: Immer mehr Privatpersonen und Bürgerinitiativen, die Windkraft im Prinzip prima finden, wollen keine dieser Anlagen in ihrer Nähe haben und klagen dagegen. Fast alle wollen die Vorteile (hier einer Technologie) nutzen, aber deren Nachteile keinesfalls in Kauf nehmen. So konnte in Kopf das Bild eines bärtigen Mittsechzigers entstehen, der am Ortsrand in einem schönen Häuschen wohnt und keinesfalls eine Windmühle in seinem Sichtfeld haben will.

Doch bei genauerer Betrachtung stimmt die Geschichte nicht einmal halb. Nach Angaben der Fachagentur Windanlagen an Land wurde Mitte 2019 gegen 417 Windkraftanlagen geklagt1. Der Blick auf die klagenden Akteure offenbart Überraschendes: Nimbys und Nimbyvereinigungen (Bürgerinitiativen) sind nur in 39 Prozent der Fälle die Beschwerdeführer. Die Mehrzahl der Klagen (47 Prozent) kommt von Umwelt- und Naturschutzverbänden.

Was ist da los? Gerade Umwelt- und Naturschutzverbände sollten doch die treibende Kraft der Energiewende sein. Und die Windkraft ist das Arbeitspferd der Energiewende, sagt Patrick Graichen, Direktor des Denk- und Politiklabors Agora Energiewende2. Anders formuliert: Ohne schnellen Zubau von Windkraft, vor allem in Süddeutschland, wird das nichts mit der Energiewende.

Das Hauptargument von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen ist der Artenschutz. Tauchen ein Roter Milan oder eine Fledermaus auf, ist die Windkraftanlage so gut wie tot. Die Verbände sehen es freilich umgekehrt. Taucht die Windkraftanlage auf, ist der Rote Milan so gut wie tot.

So kommen wir nicht weiter. Zunächst sollten uns diese Zahlen zu denken geben. Zahl 1: Die Deutsche Wildtierstiftung schreibt in ihrer Studie „Windkraft und Artenschutz“, in Deutschland würden über 12.000 Greifvögel den Windkraftanlagen zum Opfer fallen. Zahl 2: Ausgehend von Zahlen aus den USA, gibt es Schätzungen, in Deutschland würden mehrere Millionen Vögel den zahlreichen Hauskatzen zum Opfer fallen (es gibt fast 15 Mio. Hauskatzen in Deutschland. Wenn jede nur ein Vögelchen pro Jahr ewischt…). Aufgeschreckt von diesen Millionen lässt der Naturschutzbund Deutschland (NABU) seinen Vogelexperten Lars Lachmann zu Wort3 kommen: „Es ist jedoch müßig, die absoluten Zahlen zu diskutieren, denn man kann von einer Anzahl getöteter Tiere ohnehin nicht direkt auf eine Bestandsgefährdung einer oder mehrerer Arten schließen.“

Was eine oder mehrere Arten tatsächlich gefährdet, sind nicht Katzen oder Windräder, auch nicht der Mensch an sich, das ist ziemlich falsch, sondern tendenziell der Lebensstil und die Wirtschaftsweise einiger Menschen. Nach Angaben des Weltbiodiversitätsrates (IPBES)4 sind eine Million Arten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Aufzuhalten sei das nur durch grundlegende Änderungen bei der Landnutzung, beim Umweltschutz und der Eindämmung des Klimawandels. Einer der entscheidenden Artenkiller ist die Überhitzung der Erde, die zum Beispiel dafür verantwortlich ist, dass Korallen fast ganz absterben5.

Das heißt unter anderem, auf eine CO2-arme Energieerzeugung umzusteigen. Folglich brauchen wir mehr Windkraft. Und zwar schnell.

Schnell – das kann bedeuten, bei Projekten für Erneuerbare Energien einen weniger strengen Maßstab zum Schutz einzelner Arten anzulegen. Weniger streng wie bei Straßenbauprojekten oder Industriegebieten. Wenn wir weiterhin Strom wollen, müssen wir Windkraft und Solarenergie als die kleinsten aller Übel hinnehmen. Gilt für Nimbys und Naturschutzverbände.

 

1 Südwest Presse, 6.09.2019: Der Absturz der Windkraft

2 ebd.

3 nabu.de: Bedroht die Hauskatze die Artenvielfalt?
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/katzen/15537.html

4 ipbes.net

5 spiegel.de, 6.05.2019: Eine Million Arten vom Aussterben bedroht
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/artensterben-uno-bericht-beschreibt-dramatischen-verlust-der-artenvielfalt-a-1265482.html