Die Schönheit der Salweide

Alleine, langsam, still: ein Spaziergang im Schwarzwald.

Die letzte Begegnung mit einem Menschen ist schon eine Weile her, die Straße weit weg und das Brummen eines ohnehin gerade sehr seltenen Fliegers verklingt gerade – und jetzt: nichts.
Fast nichts. Vogelzwitschern.

Bei allem Unheil, das durch die Coronakrise über uns gekommen ist, mit Shutdown und Kontaktverbot, machen viele plötzlich ganz neue Erfahrungen: allein sein hat auch was, langsames Gehen tut gut und Stille ist ein Wert an sich.

Das kann man ganz besonders gut im Wald genießen. Wir haben uns daher für einen Spätnachmittagsspaziergang auf dem Schliffkopfrundweg1 entschieden. Am späten Nachmittag, weil da die meisten der ohnehin wenigen schon wieder weg sind und weil es nicht weit ist. Außerdem führt der 3,5 Kilometer lange Rundweg im Nationalpark Schwarzwald durch Bergheiden und urwüchsige Wälder. Unterwegs eröffnen sich herrliche Fernblicke über die blaugrünen Schwarzwaldhügel bis in die Rheinebene. Die Heideflächen mit Latschenkiefern, Heidelbeeren und Gräsern heißen im Schwarzwald Grinden. Sie sind eine Besonderheit des Nationalparks und ein wichtiger Lebensraum für viele seltene Arten wie Auerhühner, Baumpieper, Alpine Gebirgsschrecken oder Kreuzottern. Ziel und Höhepunkt des Rundwegs ist ein 1054 Meter hoher Gipfel: der Schliffkopf.

Die „urwüchsigen Wälder“, das typische in diesem Teil des nördlichen Schwarzwaldes, sind immer einen Besuch wert.
Überhaupt ist ein Waldspaziergang etwas ganz Wertvolles. Der Wald ist ein Psychotop, schreibt die Journalistin Agnes Fazekas in einem Beitrag über das „Waldbad“2. So nennen Wissenschaftler das Phänomen, wenn sich zwischen Mensch und Natur ein unsichtbares Netz spinnt. Hörbar ist auch viel weniger. Das erste was dem Stadtmenschen auffällt, ist die Stille. Schon hundert Meter vom Waldrand entfernt soll der Lärmpegel um acht Dezibel sinken. Doch der Geruchssinn erlebt eine Überraschung! Ein Waldspaziergang ist eine Aromatherapie. Holz, Harz, der Geruch, der bei frühlingshafter Wärme aus dem Boden steigt – füllen wir die Lungen!

Allerdings muss man, um das zu spüren, loslassen, man darf sich nicht ablenken lassen. Die größte Ablenkung sind Mitspaziergänger oder Mitwanderer. Nichts gegen eine gute Unterhaltung, aber sie kann ebenso gut anderswo stattfinden, nichts gegen Gruppenausflüge, aber sie sind eine Kategorie für sich. Nutzen wir einfach die staatlich angeordnete Zahl von höchstens zwei Personen auf gemeinsamem Weg als eine gute Gelegenheit, als Chance, vor allem alleine Neues zu spüren.

Man sollte sich erst recht nicht vom eigenen Keuchen ablenken lassen, schon gar nicht von einem Fitnesstracker.

Langsam.

Der Spaziergang gelte als gemächliche und biedere Schwester von Wandern, Hiking und Trailrunning3. Vom Wandern unterscheide sich ein Spaziergang hinsichtlich Dauer, Distanz und Anstrengung, sagt die Kulturwissenschaftlerin Gudrun M. König. Trekkingstiefel, Landkarten und Proviant sind überflüssig. Aber: Der Spaziergänger nimmt die Natur intensiver wahr.

Nie im Leben hätte man beispielsweise beim Joggen oder Mountainbiken die Legforche wahrgenommen. Das ist ein Forche, also Kiefer, deren dicken Äste mehrere Meter auf dem Boden entlang wachsen. Von starken Winden und Schneelast niedergedrückt, sind Legforchen typisch für die Höhen des Schwarzwaldes. Oder eben die Salweide. Sie trägt die einzigen Blüten, leuchtend gelb, jetzt im beginnenden Frühling in 1000 Metern Höhe. Spaziergänger und Bienen freuen sich gleichermaßen über die Schönheit der Salweide.

 

 

 

1 Der Schliffkopfrundweg gilt mit rund 3,5 Kilometer Länge als leicht, Gehdauer etwa 1,5 Stunden, nur rund 60 Höhenmeter. Startpunkt ist der Parkplatz am Schliffkopfhotel an der B500, der Schwarzwaldhochstraße.
Diesen Tourenvorschlag und weitere gibt es im Prospekt „Unterwegs im Nationalpark Schwarzwald“. Download unter
www.nationalpark-schwarzwald.de

2 Silva – das Waldmagazin, 1/2015: „Ich nehme ein Waldbad“

3 Südwest Presse, 11.04.2020: „Das große Bummeln“