Don’t Fly

Fliege nicht. Vorschläge zum Umbau des Luftverkehrs.

Es war ein handgeschriebener, unscheinbarer Zettel. Jemand hat ihn an das Seitenteil eines Wandschränkchens in der Küche des Naturfreundehauses gepinnt, in dem wir vor einigen Jahren eine Freizeit verbracht haben. Und dieser „Jemand“ hat in „Zehn Geboten“ (auf Englisch) wiedergegeben, was wir tun und lassen sollten, um eine „klimaverträgliche“ Zukunft zu haben. Oder überhaupt noch eine Zukunft zu haben.

Überschrift: 10 Commandments for the 21st century1 (Zehn Gebote für das 21. Jahrhundert).

Der erste Punkt: Don’t fly.

Fliege nicht! Tatsächlich ist Fliegen einerseits etwas Schönes, andererseits ein Riesenproblem. Fliegen ist die umweltschädlichste Version der Mobilität2. Hinzu kommt, dass man bisher von einem weiteren, rasanten Wachstum des Luftverkehrs ausgegangen ist. Bisher.

Die Corona-Krise ändert manches. Unter anderem die Prognosen darüber, wie sich der Luftverkehr künftig entwickelt. 2019 sind Experten zufolge 4,5 Milliarden Menschen geflogen. Doch statt weiter zu wachsen, halbiert sich die Fluggastzahl in diesem Jahr3. Dadurch sind viele Arbeitsplätze bedroht, was die Bemühungen der Staaten erklärt, ihren Luftverkehr zu reanimieren. In Deutschland stellt sich die Frage, wie sich die neun Milliarden Euro allein für die Lufthansa mit dem Ziel vertragen, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein4.

Jetzt, da der Luftverkehr noch am Boden liegt, ist vielleicht die Zeit, weitere Überlegungen dazu anzustellen. Hier zehn Vorschläge.

Erster Vorschlag: Es sollte pro Land nur noch eine – staatliche – Fluglinie geben.

Historisch gesehen nichts Neues, sozusagen der Status quo ante. Also früher waren staatliche Fluggesellschaften die Regel. Der deutsche Staat hat die letzten Aktien der Lufthansa erst 1997 verkauft. Ende Mai 2020 hat der Bund im Zuge der Corona-Krise wieder 20 Prozent der Anteile übernommen. Auch das ist nichts Besonderes. International gesehen haben die meisten Airlines den Staat als Anteilseigner. Bei Air France-KLM sind Frankreich und die Niederlande mit je 14 Prozent beteiligt, rund die Hälfte von Turkish Airlines, Aeroflot und Air China gehört der Türkei, bzw. Russland und China. Ethiopian, Emirates und Qatar Airways gehören zu 100 Prozent dem jeweiligen Staat. Nur die US-Carrier sind zu 100 Prozent in privater Hand5.

Zweiter Vorschlag: Jedes Land in Europa hat nur noch einen internationalen Flughafen für die zivile Luftfahrt.

Allein in Deutschland gibt es derzeit 29 Flughäfen. In Frankfurt am Main kann ein Reisender unter 100 Airlines wählen, die ihn zu 239 Zielen auf der ganzen Welt bringen. Selbst von Memmingen aus kann man mit acht Luftfahrtunternehmen zu 21 Zielen aufbrechen, in Mannheim startet immerhin ein Flieger zu genau einem Ziel6.
Die Reduktion auf einen Zentralairport funktioniert natürlich nur, wenn die Zahl der Flüge drastisch abnimmt – fliegen als absolute Ausnahme. Idealerweise sind die restlichen Airports an ein Hochgeschwindigkeitsbahnnetz angeschlossen. Dann geht das. Große Länder, wie Russland, die USA oder China können sich ja mehrere Start- und Landeplätze erlauben.

Dritter Vorschlag: Es gibt nur noch ganz wenige Linienflüge.

Das würde unsere lieb gewonnen, aber leider ökologisch toxischen Urlaubsgewohnheiten ändern. Fliegen zu „touristischen Zwecken“, ein Begriff, den wir ja ebenfalls in der Corona-Krise kennenlernen mussten, wäre weitgehend out. „In“ wäre Urlaub in Europa. Und das ist, ehrlich gesagt, sicher ein Zugewinn an Lebensqualität.
Dazu müsste es freilich mehr und schnellere Zugverbindungen geben. Heute dauert eine Bahnreise von Frankfurt am Main nach Barcelona mindestens 20 Stunden, ebenso nach Rijeka. So geht das nicht. Für die beliebten Mittelmeerinseln Mallorca, Korsika, Sardinien, Kreta, Zypern etc. bräuchte es ökologisch korrekter Fährverbindungen.

Vierter Vorschlag: Businessflüge nur für Personen auf Geschäftsführer- oder Vorstandsebene.

Im Zuge der Corona-Krise hat der Begriff Globalisierung einen negativen Touch bekommen. Doch die Wirtschaft ist und bleibt weltweit verflochten, desgleichen kann die internationale Arbeitsteilung nicht einfach aufhören. Daher muss der ein oder andere Geschäftsmann (wir verzichten hier mal aufs Gendern, da meist Männer so wild auf Fliegen sind und das oft als Statussymbol sehen) doch noch zum Business Travel mit dem Flieger antreten. Das aber dann nur noch aus „triftigem Grund“ (auch so ein Begriff aus der Lockdown-Zeit) und von einer gewissen Hierarchieebene an: Geschäftsführer und Vorstände. Economy für alle wäre im übrigen völlig ausreichend.

Fünfter Vorschlag: Abbau der Vielfliegerboni.

Wir sollten nicht Vielflieger belohnen, sondern ein Malussystem einführen. Je mehr man fliegt, desto teurer wird es.

Sechster Vorschlag: Reduzierung der Frachtflüge

Spontan gesagt, wäre da der Spargel aus Peru im Januar. Man müsste die gesamten Lieferketten ohnehin unter ökologischen Gesichtspunkten einer Prüfung unterziehen.

Siebter Vorschlag: Keine Privatjets.

Wir erinnern an den ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore, der ja ernsthaft in Sachen Ökologie unterwegs ist. Leider auch mit dem Privatjet, worunter seine Glaubwürdigkeit ein wenig gelitten hat. Wir fordern auch die auf, die nicht in Sachen Ökologie unterwegs sind (also alle), den Privatjet stehen zu lassen und das Fahrrad zu nehmen.

Achter Vorschlag: Flugbonus für die Jüngeren

Es gibt Interrail7, warum nicht Interfly? So wie ermäßigte Bahnreisen innerhalb Europas für Leute bis zu 27 Jahren, könnte es aus Gründen der Generationengerechtigkeit ermäßigte weltweite Flugreisen für Leute bis, sagen wir 30, geben. Wobei es hier nicht um ermäßigtes Fliegen geht, sondern um Fliegen überhaupt. Also um einen subventionierten Gutschein über zwei Flugreisen für unter 30-Jährige. Für alle anderen nicht. Ein Studiensemester in den USA und ein Rucksackurlaub auf Bali sollten weiterhin möglich sein. Mit einem etwas größeren Zeitbudget, das beim bewussten Reisen eigentlich immer vorhanden sein sollte, gelingt selbst der Trip in die Ferne: Zwei junge Leute, haben in einen Buch beschrieben, wie sie ohne Flugzeug bis nach Australien gereist sind8.

Neunter Vorschlag: Ökologischer Umbau

Auch wenn die Umweltlast durch das Fliegen deutlich abnimmt (das ist ja der Sinn), spricht nichts dagegen, den Restflugbetrieb ökologischer zu gestalten. Zum Beispiel mit Kerosin auf der Basis von Pflanzenölen oder „grünem“ (mit erneuerbaren Energien erzeugten) Wasserstoff.

Zehnter Vorschlag: Umbau der Industrie

Der Umbau der Luftfahrtindustrie muss zwangsläufig erfolgen, da die Stückzahlen benötigter Transportmittel deutlich sinken. Im Bereich der Luftverteidigung ist das ja ohnehin bereits der Fall. Eine Luftwaffe ist notwendig, Militärflugzeugbau ist aber nur noch im europäischen Rahmen wirtschaftlich darstellbar. Genau genommen müsste der Bau von Flugzeugen generell in staatliche Hände übergehen, um das Knowhow zu erhalten.

Realisierte man diese zehn Vorschläge, entstünde ein beträchtlicher Kollateralschaden: Zigtausende von Jobs in der Luftfahrtindustrie gingen verloren9. Allerdings gehen zigtausende Arbeitsplätze auch dann verloren, wenn man diese Vorschläge nicht ernst nimmt. Allein die Lufthansa will wegen der Corona-Krise 22.000 Arbeitsplätze abbauen10. Daher muss man sich ohnehin dringend darüber Gedanken machen, wie man den Jobabbau in der Luftfahrtindustrie kompensieren will.

Es gibt darüber hinaus weitere Vorschläge, Luftverkehr und Klima halbwegs in Einklang zu bringen. Im Wesentlichen beschränken sich diese Vorschläge auf den Preis. Das Umweltbundesamt argumentiert so: Würden die Subventionen für die Luftfahrt (Umsatzsteuerbefreiung, steuerfreies Kerosin) gestrichen, verteuerten sich die Flugtickets11.

Das ist wahrscheinlich eine sinnvolle, effektive, jedoch phantasielose Methode. Wird fliegen teuer, sinkt die Zahl der Fluggäste. Völlig klar. Ist immer so. Gilt für das Autofahren und den Fleischkonsum ebenfalls. Was daran stört, ist die soziale Schieflage. Warum sollte eine Flugreise wie früher von den individuellen finanziellen Möglichkeiten abhängig sein?
In der Schweiz sind künftig je nach Entfernung und Buchungsklasse zwischen 30 und 120 Franken zu entrichten. Die Hälfte der Einnahmen von rund einer Milliarde Franken soll an die Bevölkerung verteilt werden. Demnach profitiere, wer wenig oder gar nicht fliegt. Die andere Hälfte soll in einen Klimafonds fließen12.

Zu guter Letzt sollte man noch zweierlei bedenken. Zum einen hat sich das Mobilitätsverhalten in kurzer Zeit enorm geändert. Die heutigen Vielflieger gehören in der Regel zu den Baby-Boomern (in Deutschland in etwa die Jahrgänge 1955 bis 1965). Aber: Deren Eltern reisten praktisch überhaupt nicht. Zum anderen leben wir in Europa, einem enorm schönen und vielfältigen Kontinent. Also, wer in Sibirien 1000 Kilometer fährt ist immer noch in Sibirien. Wer in Europa 1000 Kilometer fährt, hat das Mittelmeer, den Atlantik, die Alpen, unzählige Seen und unterschiedlichste Länder. Da findet sich was.

 

1 10 Gebote für das 21. Jahrhundert
1. Fliege nicht.
Man findet die komplette Liste auf der Webseite von Tea Mäkipää, einer Künstlerin aus Finnland.

Die weiteren Gebote lauten:
2. Recycle.
3. Nimm das Fahrrad oder Öffis an Stelle des Autos
4. Meide, was in Plastik verpackt ist.
5. Versuche, weitgehend auf Heizung und Klimaanlagen zu verzichten.
6. Meide Produkte, die von weit her kommen.
7. Wenn Du nicht sicher bist, dass Du es brauchst, kaufe nicht.
8. Begnüge Dich mit höchstens zwei Kindern.
9. Vermeide alles, was den Landschafts- und Wasserverbrauch erhöht.
10. Mache es Dir und anderen leicht, diese Schritte zu gehen.
https://tea-makipaa.eu/10_Commandments_for_the_21st_Century/

2 „Schwerpunkt Fliegen“ – Das Magazin des Umweltbundesamtes 2/2019
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/uba_schwerpunkt_magazin_fliegen__0.pdf

3 Der Spiegel, 25/2020 vom 13.06., Titel: „Wir starten“, S. 8/9 (Quelle: IATA)

4 deutschlandfunk.de, 15.06.2020: „Klimaschutz-Instrument in seiner Wirkung halbiert“
https://www.deutschlandfunk.de/luftfahrt-abkommen-corsia-klimaschutz-instrument-in-seiner.697.de.html?dram:article_id=478658

5 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.05.2020: „Lufthansa-Rettung hängt in der Schwebe“

6 laenderdaten.info (5.06.2020): „Die 29 größten Flughäfen in Deutschland“
https://www.laenderdaten.info/Europa/Deutschland/flughafen.php

7 Wikipedia-Eintrag „Interrail“ (5.06.2020)
https://de.wikipedia.org/wiki/Interrail

8 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.06.2020: „Fliegen umgangen“
Giulia Fontana und Lorenz Keyßer, „Ohne Flugzeug um die Welt – klimabewusst unterwegs und glücklich“, Bastei-Lübbe Verlag, Köln, 2020
Ein Gespräch mit der Autorin und dem Autor finden Sie auf bento.de.
https://www.bento.de/nachhaltigkeit/klimaschutz-ohne-flug-nach-australien-dieses-paar-erzaehlt-wie-es-war-a-66b7f271-a9f1-43b9-8859-0a464252f0b5#ref=ressortblock
Freilich sind Schiffsreisen heute nicht per se ökologisch besser. Da gibt es noch viel zu tun. Ehrlicherweise muss jedoch gesagt werden, dass eine Fern- bzw. Weltreise derzeit tendenziell eher schwierig klimaneutral zu realisieren ist.

9 Nicht nur in der Luftfahrtindustrie. Vermutlich auch im Tourismus und zwar insbesondere in Ländern, die bisher vom Flugtourismus profitierten. Die Frage ist nur, wie sinnvoll es ist, in einer 10.000 Kilometer entfernten Hütte am Meer Urlaub zu machen und dazu beizutragen, dass diese Hütte bald im Meer versinkt.

10 welt.de, 16.06.2020 „Airline in der Corona-Krise“
https://www.welt.de/wirtschaft/article209646667/Lufthansa-in-Corona-Krise-Welche-22-000-Jobs-gestrichen-werden-sollen.html

11 vgl. Punkt 2

12 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.06.2020: „Die Schweiz verteuert das Fliegen“

Weiter lesen:

„Klimaschädliche Geldverschwendung“ –
Umweltverbände kritisieren Regionalflughäfen (8/2020)

zum Spiegel-Beitrag:
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/bund-bericht-zu-regionalflughaefen-diese-landratspisten-sind-laut-umweltschuetzern-ueberfluessig-a-cd16ae69-2519-40c9-9b8c-f2b79ad60b83

zur BUND-Studie:
https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/mobilitaet/mobilitaet_regionalflughaefen_studie.pdf

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