Da gäbe es etwas zu sagen. Und zwar dringend.
Wer Winter-Tomaten kauft, ist selbst schuld. Sie schmecken nach nichts. Spötter bezeichnen sie deswegen als „schnittfestes Wasser“.
Von einer Sommer-Tomate dürfte man da schon etwas mehr erwarten: Aroma, Süße, Reife.
Und das ist der Punkt: Die Sommer-Tomate schmeckt ebenfalls nach – nichts.
Als ob sie nie einen Sonnenstrahl abbekommen hätte. Und das obwohl sie doch oft aus Andalusien, dem sonnenverwöhnten, plastikbedeckten Gemüsegarten Europas stammt. Die Tomate (Solanum lycopersicum) zählt zur Familie der Nachtschattengewächse und so schmeckt nun selbst die Sommer-Tomate: als ob sie nachts im Schatten gewachsen wäre.
Nicht nur mir ist das aufgefallen, sondern auch anderen, die die Mittel hatten, das Ganze zu untersuchen. Wissenschaftlich. Forschende der Universität Valencia haben festgestellt, dass der „modernen Industrie-Tomate“ genau jene Gene fehlen, die für den Geschmack zuständig sind. Die Zuckermenge im Fruchtfleisch, die meisten Aromastoffe – weg. Interessant ist, dass es in dem Stern-Beitrag (1) darüber heißt, die entsprechenden Gene seien „verloren gegangen“.
Welch ein Irrtum! Verloren gegangen ist da gar nichts, wie denn auch? Vielmehr haben Genforscherinnen und Genforscher solange am Erbgut von Solanum lycopersicum herumgemacht, bis eine Frucht entstand, die genau so ist, wie es sich der Handel vorstellt. Herausragendes Merkmal der durchschnittlichen Supermarkttomate ist Haltbarkeit. Fest muss sie ebenfalls sein, das erleichtert Handling und Logistik und spart Verpackung. Züchter, Großbauern und Handelsketten haben das so gewollt, sage ich. „Eine Geschmacklosigkeit“ sagt der Reporter von Deutschlandfunk (2) Nova, Stephan Beuting. Er hat herausgefunden, dass spanische und holländische Tomaten früh, wahrscheinlich grasgrün, im Erntekorb landen, damit sie hier nicht faulig ankommen.
Was meiner Erfahrung nach ja so nicht stimmt. Die Tomate von heute fault scheinbar gar nicht mehr. Sie könnte ewig im Supermarkt liegen und zu Hause noch einmal so lang. Daher könnte man die arme Tomate schon noch ein wenig reifen lassen.
Im übrigen teilt die Tomate das Schicksal aller anderen landwirtschaftlichen „Erzeugnisse“, seien es Pflanzen, sei es Nutztiere. In den Handel gelangen nur noch ganz wenige Sorten, ein kümmerlicher Rest von ursprünglich tausenden, regional angepassten Sorten – von jeder Art, versteht sich. Allein von der Tomate existieren 3800 Sorten im offiziellen Register, weitere 7000 seien in privater Hand, wie auf der Webseite Tomaten-Welt (3) nachzulesen ist.
Inzwischen scheint jedoch auch den Forschenden der Tomatensalat nicht mehr so recht zu schmecken. Sie stellen es als eine Sache der Vergangenheit dar, dass Tomaten nur prall und rot aussehen müssen, viel Ertrag bringen und lange lagern können (4). Jetzt aber sei das Gen gefunden, das die Geschmacksstoffe reguliert, künftig werde also alles besser. Die Frage ist nur, warum es ausgerechnet die Gentechnik richten soll, die bei vielen Menschen ohnehin grundsätzliche Ablehnung erfährt, und der wir das Geschmacksschlamassel verdanken.
Ich glaube, die Lösung liegt nicht in der Gentechnik. Zukunft haben alte, bewährte und aromareiche Sorten, sowie ein regionaler und saisonaler Handel. Wer in Baden-Württemberg wohnt, kann zum Beispiel zu den Tomaten von der Bodensee-Insel Reichenau greifen. Allerdings müssen sich Verbraucherinnen und Verbraucher schon ein wenig bemühen. Doch so schwer ist das nicht. Christian Müller, stellvertretender Geschäftsführer der Reichenau-Gemüse eG, sagt, es würde ihn wundern, wenn es Reichenau-Tomaten nicht auf den meisten Wochenmärkten zu kaufen gäbe. Nicht jedoch beim Discounter. Die Genossenschaft beliefert zwei große Handelsketten, die regionale Produkte im Sortiment haben und das entsprechend vermarkten. Man muss manchmal schon ein wenig in die Tiefe gehen, das Etikett lesen und notfalls fragen. Schließlich vermarkten die beiden Ketten die hiesigen Tomaten offensiver, denn sie kosten ja auch ein wenig mehr.
Die Reichenauer preisen eine ihrer Sorten (5) besonders an. Und zwar die mit dem Namen „Inselperle“. Sie sei von Mai bis Oktober ein „besonderes Geschmackserlebnis“. Nach dem Bestäuben durch eine Hummel entwickle sie im mildern Seeklima ein spezielles Säure-/Zuckerverhältnis.
So hätten wir es gerne. Wenigstens im Sommer.
1 stern.de, 25.02.2017: „Warum Tomaten nach nichts mehr schmecken“
https://www.stern.de/genuss/essen/tomaten–deshalb-schmecken-sie-inzwischen-nach-nichts-mehr-7342788.html
2 deutschlandfunknova.de, 21.08.2018: „Rot, knackig und wässrig“
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/tomaten-ohne-aroma-rot-knackig-und-waessrig
3 tomaten-welt.de: Die Vielfalt der Tomate
https://www.tomaten-welt.de/tomaten/tomatensorten/
4 welt.de, 30.07.2020: „Warum Tomaten oft nach nichts schmecken“
https://www.welt.de/wissenschaft/article193859699/Genvariante-entdeckt-Warum-Tomaten-oft-nach-nichts-schmecken.html
5 reichenaugemuese.de: Frische Tomaten
https://www.reichenaugemuese.de/Unser-Gemuese/Tomaten/
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