Erbe Endlager

Was Du heute kannst besorgen, verschiebe doch auf morgen.

Jetzt also Atommüll. Vor fast 58 Jahren hat das erste deutsche Kernkraftwerk den kommerziellen Betrieb aufgenommen1. Baubeginn war bereits vier Jahre zuvor, im Juli 1958. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss sich doch jemand Gedanken darüber gemacht haben:
Wohin mit dem radioaktiven Müll?

Wir werden sehen. Das heißt, genau genommen werden es nur wenige der heutigen Zeitgenossen sehen und schon gar nicht die, die uns in den Jahren 1958 bis 2011 die ganze Suppe eingebrockt haben. Denn der deutsche Atommüll findet erst im Jahre des Herrn 2050 seine letzte Ruhestätte. Im Jahre 2050 muss dann eine Generation den Dreck wegräumen, die nicht ein Milliwatt Atomstrom aus deutschen Meilern genutzt hat.

Sicher, wenn man es genau nimmt, ist aus den Atomstromnutzern auch die „Atomkraft – nein danke“-Bewegung hervorgegangen, ja überhaupt die ganze Ökobewegung bis hin zur Gründung der Partei „Die Grünen“. Das Dilemma: Auch wenn man gegen Atomkraft ist – ein Endlager musste schon lange her.

Nicht überall pflegt man, Probleme einfach an die nächste Generation weiterzureichen. „Hier in Finnland sind alle überzeugt davon, dass sich diejenige Generation, die von der Atomkraft profitiert und den Strom aus Atomkraftwerken verbraucht, auch um den Abfall kümmern und ein Endlager bauen muss“, sagt Janne Mokka, Chef der finnischen Betreibergesellschaft für das Endlager2. Mitte der zwanziger Jahre beginnen sie dort im Norden, hochradioaktive Abfälle ihrer drei Kraftwerke einzulagern.

Wir in Deutschland sind nach sechs Jahrzehnten wieder auf Los. Ende September 2020 legt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) einen „Zwischenbericht“ vor, demzufolge es hierzulande 90 potenzielle Gebiete gibt, die geologisch gesehen für eine Endlagerung geeignet sind3.

Das ist bemerkenswert. Und zwar unter anderem deswegen, weil nach diesen fast sechs Jahrzehnten Kernkraft erst ein „Zwischenbericht“ vorliegt. Es ist ferner bemerkenswert, dass Gorleben nicht mehr zu den geeigneten Standorten zählt. Das heißt, die Verantwortlichen (DBE mbH, BGR und schließlich BGE) haben von 1977 bis 2020, also 43 Jahre gebraucht, um festzustellen, dass der Salzstock in Gorleben für eine Endlagerung ungeeignet ist.

Dabei galt Gorleben eigentlich als geeigneter Standort. Kein geringerer als Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Friedrich-W. Wellmer, früherer Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schreibt im Leserbrief an die FAZ, die perfekte Geologie für ein Endlager werde man niemals finden. Der Prozess, der zur Auswahl von Gorleben geführt hat, sei aber völlig korrekt gewesen. Ein weiterer Leserbriefschreiber ergänzt, nach vierzig Jahren Endlagerforschung habe die Bundesregierung 2008 festgestellt, es gebe nichts, was gegen Gorleben spräche. Schließlich weiß ein dritter Leser, die Suche und das Forschen seien zu Beginn tatsächlich unpolitisch gewesen, der politische Einfluss habe erst später eingesetzt4. Vermutlich erst mit dem Beginn des massiven Widerstands.

Oder sehen wir es so: Da der radioaktive Müll in diesem Endlager eine Million Jahre sicher lagern soll, kann man sich bei der Standortwahl ruhig Zeit lassen. Jahrzehnte, selbst Jahrhunderte und Jahrtausende sind da gar nichts. Den Menschen, wie er heute ist, gibt es übrigens seit rund 300.000 Jahren. Also ist 2050 ein Datum, das in jeder Hinsicht als unverbindlich gelten kann. So wie BER 11 oder S 21.

Als ob die geologischen Anforderungen und Herausforderungen nicht schon reichten, kommen, soviel ist schon heute sicher, weitere politische Unwägbarkeiten hinzu. Irgendjemand, das passt wieder prima, hat als Synonym für Endlager den Begriff „Atomklo“ ins Spiel gebracht. Das will natürlich keiner haben, keiner sein. Daher ist jetzt schon absehbar: Es wird eine Art „Ausnasen“5 geben. Der letzte bringt den (Atom-) Müll weg.
Sollte dabei ersichtlich werden, dass ein geologisch geeigneter Standort nur deswegen nicht ausscheidet, weil sich die Bürger nicht gewehrt haben, droht ein spannender politischer Prozess. Daher wird jeder Bürgermeister und jeder Landrat sofort „Nein, danke!“ sagen. Vorsichtshalber, vorbeugend, vorauseilend.

Ein tiefer Schacht ist also nicht in Sicht, dafür tun sich betriebswirtschaftlich tiefe Abgründe auf. Endgültig werden die Endkosten für das Endlager erst lange nach 2050 (da soll ja die Einlagerung erst beginnen) feststehen. Ein Gutachten von 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass sich bis 2099 die Kosten für den Rückbau der radioaktiven Meiler und für die Endlagerung von Müll und Material auf 170 Milliarden Euro summieren werden6. Nach Rechtslage müssten das Geld die Atomkonzerne aufbringen. Allerdings hat ein weiteres Gutachten schon vorher festgestellt, es sei zweifelhaft, ob die vier großen Stromversorger dieses Geld in Form von Rücklagen überhaupt haben7. Haben sie es nicht, ist der Steuerzahler dran. Was eigentlich nicht schlimm wäre, denn Steuerzahler und Stromnutzer sind in einer Periode im Prinzip identisch – nur eben nicht Nutzer günstigen Stroms von vorgestern und Steuerzahler von übermorgen.

1 Wikipedia-Eintrag „Liste der Kernreaktoren in Deutschland“
abgerufen am 1.10.2020
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kernreaktoren_in_Deutschland

2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.09.2020:
„ Deutschland sucht, das Ausland findet“

3 tagesschau.de, 28.09.2020:
„90 Regionen sind geologisch geeignet“
https://www.tagesschau.de/inland/endlagersuche-103.html

4 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.2020
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.2020

5 Ausnasen: Familie mit Kindern sitzt am Tisch. Irgendwann kommt die Frage – wer räumt ab? Schnell fasst sich jeder mit dem Zeigefinger an die Nase. Der letzte räumt ab.

6 faz.net, 2.05.2016: „Das kostet den Steuerzahler der Atommüll“
https://www.faz.net/aktuell/finanzen/steuerzahler-tragen-die-kosten-der-energiewende-14209053.html

7 spiegel.de, 14.09.2015: „Energiekonzernen fehlen 30 Milliarden Euro“
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/atomausstieg-fuer-den-atommuell-fehlen-30-milliarden-euro-a-1052869.html

Das Foto der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zeigt betriebliche Eigenabfälle im Westfeld auf der 4. Ebene (Sohle) des Endlagers Morsleben, rund 500 Meter unter Tage. Seit 1998 werden nach Angaben der BGE keine radioaktiven Abfälle mehr an das Endlager Morsleben geliefert.