…wurde geboren…


Falsch: …hat geboren…! Eine Weihnachtsgeschichte.

Es muss an einem Artikel über einen Philosophen und am Lockdown gelegen haben, dass ich so dermaßen ins Philosophieren gekommen bin. Wie Millionen andere Vitae beginnt auch ein Artikel von Jürgen Kaube über Hegel (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.08.2020: „Hegel, der Schwierige“) im Vorspann mit einen „wurde geboren“: „Vor 250 Jahren wurde der Philosoph geboren“.

Da stört was. Zum einen „wurde“ nicht ein Philosoph geboren, sondern ein Kind. Dass dieses Kind später als großer Philosoph in die Geschichte eingegangen ist, war zum Zeitpunkt seiner Geburt weit weniger wahrscheinlich als dessen früher Tod. Damals gab es hierzulande eine unfassbar hohe Kindersterblichkeit. 1870 überlebten 250 von 1000 Kindern ihren fünften Geburtstag nicht. In Hegels Geburtsjahr 1770 kam dieses Schicksal noch weit häufiger vor. Heute sind es etwa drei bis vier Kinder die vor Vollendung ihres fünften Lebensjahrs sterben. Mit der Müttersterblichkeit verhielt es sich ähnlich.

Was noch mehr stört ist das Passiv. Dieses schreckliche „wurde“, „wurde geboren“. Als ob nicht bekannt wäre, wer hinter dieser Geburt steckt. Hegel, ein Findelkind? Medienschaffende lernen während ihrer Ausbildung (Volontariat etc.), das Passiv zu meiden. Schon weil es abscheulich klingt. Dennoch hört sich mancher Satz in den Medien so an, als ob es nur darum ginge, möglichst viele Passive in einem Beitrag unterzubringen. Der Gipfel des Grauens ist alles wo „muss werden“ drin steckt. Populistisches Poltern, das nichts darüber aussagt, wer was machen sollte und Verantwortlichkeiten vortrefflich verschleiert.

Dennoch ist der Ausdruck „wurde geboren“ in aller Munde. Das muss anders werden!

Und zwar zu Gunsten einer Formulierung, die dem Rechnung trägt, welche Person an jenem Tag die wichtigste gewesen ist: Maria Magdalena Louisa Hegel. Die Mutter des Kindes, das später ein großer Philosoph geworden ist. Sicher kann man jetzt einwenden, dass es hier um einen großen Philosophen geht. Wen interessiert da die Mutter?

Genau das ist das Problem.

In einer Zeit, in der Frauen zu recht um mehr Sichtbarkeit in der Gesellschaft ringen, ist es angebracht, von Anfang an, auf deren Rolle in der Gesellschaft hinzuweisen. Es müsste also heißen, nicht zuletzt im Lexikon-, also im Wikipedia-Eintrag: „Maria Magdalena Louisa Hegel brachte am 27. August 1770 einen Sohn zur Welt, dem sie und ihr Mann Georg Ludwig die Namen Georg Wilhelm Friedrich gaben.“

Medienschaffende lernen, wie erwähnt, das Passiv zu meiden, Ausnahme: Es ist für das Verständnis völlig unerheblich, wer die oder der Handelnde ist. Der Ausdruck „wurde geboren“ zwingt die Frau also in die Bedeutungslosigkeit. Von Anfang an. Wollen wir das?

Der Sinn der ganzen Geschichte ist nun nicht, die Sprache ein wenig schöner und präziser zu machen. Der Sinn ist, mit Sprache zu erzwingen, dass die Frau im öffentlichen Bewusstsein präsenter wird. Es ist im Grunde wie mit dem Gendern: „Journalistinnen und Journalisten, JournalistInnen, Journalist*innen“. Das ist zwar nicht immer schön, aber es geht um viel. Die Gesellschaft verschwendet schlicht und einfach wertvolle Ressourcen, wenn der Frauenanteil im Bundestag nur knappe 31 Prozent beträgt, wenn in den Vorständen deutscher Konzerne fast gar keine Frauen wirken und im katholischen Klerus überhaupt gar keine. Und so weiter, weswegen die Quote kommen muss.

Aber bei aller Kritik am Altmännerfilz in der katholischen Kirche: Immerhin haben die gemerkt, dass die Mutter nicht so ganz unwichtig ist. Jesus „wurde“ nicht geboren, von irgendwem. Beim Evangelisten Lukas heißt es: „und sie gebar ihren Sohn“. Nota bene: „sie“. Maria.

Die katholische Kirche, eigentlich die katholische Volksfrömmigkeit, würdigt das in einer Weise, die fast vergessen lässt, wer die wichtigste Person in dieser ganzen Geschichte ist. Es gibt weit mehr Marien- als Jesuslieder. Und ist es da nicht ein schöner Zufall, dass des späteren großen Philosophen Mutter ebenfalls Maria Magdalena hieß?