Tesla und die Reise zum Mars

Ein weiteres phantastisches Projekt von…



…Elon Musk. Von wem sonst. Die Geschichte über die Reise zum Mars lesen Sie hier1.

Ähnlich phantastisch wie eine Reise zum Mars sind die Zahlen in Bezug auf die so genannte „Gigafactory“ (ein reines Marketing-Schlagwort) in Grünheide/Brandenburg: Bis zu 500.000 Autos der Marke Tesla sollen dort jährlich vom Band rollen2.

Dazu ein kleiner Plausicheck: Weltweit (!) hat Tesla im 1. Halbjahr 2020 rund 180.000 Autos verkauft, hochgerechnet auf das Gesamtjahr wären das 360.0003. In Deutschland brummt, nein, summt das Geschäft von Tesla ebenfalls. Im November 2020 betrug die Zahl der Zulassungen 16804. Sind wir optimistisch und rechnen die gute Novemberzahl auf das ganze Jahr hoch, führt das zu einem Ergebnis von in etwa 20.000 Stück. Errechnet man daraus eine „Tesla-Dichte“ pro Einwohner und projiziert das auf das gesamte Europa mit 750 Millionen Menschen hoch, wären das knapp 200.000 Fahrzeuge im Jahr. Ich unterstelle, dass die „Gigafactory“ in Brandenburg für die „Versorgung“ ganz Europas bestimmt ist, während weitere zwei Fabriken ähnlicher Art in USA und China stehen.

Bei allem Optimismus: Für Tesla könnte es schon ziemlich eng werden, 200.000 Autos in Europa abzusetzen – wozu dann eine Produktionskapazität von 500.000 Stück? Die kaufkraft- und subventionsbedingten Mehrkäufe zum Beispiel in Deutschland und Norwegen, wiegen die vielen kaufkraftärmeren Regionen Europas nicht auf. Außerdem wacht die Konkurrenz gerade auf: Die Autos des US-amerikanischen Herstellers verkauften sich 2020 zwar gut, die Wettbewerber aber waren besser. Aus diesem Grund ist der Marktanteil von Tesla bei E-Autos von 17 auf 9 Prozent gefallen (Januar bis November 2019 / Januar bis November 2020)5. Vielleicht ändert sich da etwas, wenn das amerikanische Auto als ein hier produziertes, also quasi deutsches Auto wahrgenommen wird (so wie Opel bis 2017).

Es geht um Tesla, also um Autos die ausschließlich über einen elektrischen Antrieb verfügen. Hier Plug-in-Hybride dazu zu zählen, wie es manche tun, ist unredlich. Das Prinzip „Plug-in-Hybrid“ ist: Großer Verbrennungsmotor plus kleiner elektrischer Hilfsmotor. Ein Feigenblatt. Umgekehrt ginge es eher: Elektrischer Antrieb plus kleiner Verbrennungsmotor. Der hieß „Range Extender“ und war beispielsweise im BMW i3 zu finden. Wenn also in Deutschland Ende November 2020 von den über 500.000 zugelassenen „E-Autos“ mehr als die Hälfte Plug-in-Hybride sind6, ist das nicht wirklich ein großer Schritt in Richtung Elektromobilität.

Im Prinzip ist die Idee nicht schlecht, ein Fahrzeug mit einem Elektromotor an Stelle eines Verbrennungsmotors anzutreiben. Nur sollte das Fahrzeug eher 27 Kilogramm wiegen, wie ein gutes E-Bike, und nicht 2,7 Tonnen wie ein deutsches Oberklassen-Fahrzeug oder, mit nur etwas weniger, der Tesla Model X. Würde man das Prinzip „E-Bike“ mit dem ÖPNV verbinden7, wären fast alle Mobilitäts-, Ressourcen- und Energieprobleme gelöst.


Ob man das sagen kann, wenn sich die Elektromobilität so wie jetzt weiterentwickelt, ist fraglich. Prinzipielles Problem: Würden tatsächlich in Deutschland 40 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor durch 40 Millionen Autos mit Elektromotor ersetzt, wäre das kein Fortschritt. Die Straßen blieben voll und weniger Ressourcen brauchen zumindest große E-Autos nicht.

Die größte Herausforderung aber ist der Strom. Deutschland benötigt davon pro Jahr rund 500 Terawattstunden8 (TWh). Diese Zahl ist seit etwa 20 Jahren relativ stabil. Stabil ist auch der Verbrauchsanteil der Sektoren Haushalte, Industrie, Gewerbe mit Handel und Dienstleistungen sowie Verkehr9. Würden bis zum Jahr 2030, wie von manchen angestrebt, zehn Millionen Elektroautos (ein Viertel des Bestands) auf deutschen Straßen unterwegs sein, würde das zu einem Mehrbedarf des Sektors Verkehr von 30 TWh führen10. Durch die Umstellung der gesamten deutschen Autoflotte von 40 Millionen Pkw (bis 2050?) stiege der Mehrbedarf sogar auf 120 TWh.

Aber das ist noch nicht alles. Wenn die Industrie, zum Beispiel die Chemieindustrie, (bis 2035) ebenfalls auf „öko“ umstellt, wären allein hierfür noch mal 628 TWh nötig11. Das geht aus einer Studie des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) hervor. 628 TWh – das wäre zehn Mal soviel wie derzeit und mehr als der gesamte aktuelle Stromverbrauch in Deutschland. Wobei Vertreter dieser Branche außerdem der Ansicht sind, mehr als vier Cent dürfe ein KWh nicht kosten, während der Privatverbraucher rund 30 Cent pro KWh bezahlt.

Um das aus der Sicht der Erzeugung von Ökostrom einzuordnen, hilft folgende Rechnung: 628 TWh entsprechen 628.000 Gigawattstunden (GWh). Ein großes Windrad mit einer Leistung von sechs MW bringt pro Jahr rund zehn GWh. Also müsste man allein für die deutsche Chemieindustrie 62.800 Windräder aufstellen12. Zuzüglich zu den rund 30.000, die es jetzt schon an Land gibt.

Weitere energieintensive Industriebranchen, zum Beispiel Stahl- und Aluminiumproduktion, sind in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten.

Zusammen genommen würde der relativ stabile Stromverbrauch von 500 TWh auf mindestens 1248 TWh (500+120+628 TWh) ansteigen.

Nun kommt Strom nicht einfach aus der Steckdose. Der Strommix in der Erzeugung verteilt sich 2020 voraussichtlich wie folgt: 45 Prozent Erneuerbare (Solar, Wind, Sonstige) und 55 Prozent Konventionelle (Kohle, Gas, Atom). Das ist der Jahresdurchschnitt, durchaus beachtenswert ist jedoch, dass im Dezember 2020 (1.-16.12.) der Anteil der Erneuerbaren 28,4 Prozent, der Anteil der Konventionellen 71,5 Prozent betragen hat13.

Nochmal zurück zu den 45 Prozent Erneuerbaren in 2020. Von der Gesamtmenge erzeugten Stroms in Höhe von 564 TWh waren das etwa 254 TWh.

Um sich die Dimension der noch nötigen Veränderung vor Augen zu führen, anders formuliert, um zu erahnen, wie weit der Weg bis zur weitgehenden CO2-Neutralität noch ist, muss man diese 254 TWh in Beziehung zu den 1248 TWh setzen. Ergebnis: Wir müssten die Ökostromerzeugung bis zum Jahr 2050 mindestens verfünffachen (wobei wir 100 Prozent Ökostrom vermutlich niemals erreichen und das Dezember-Problem noch nicht gelöst ist). Wenn es so bleibt, dass keiner mehr ein Windrad will14, ist hier die wahre Challenge, wie Elon Musk sagen würde.

Zurück zum Auto. Das Positive an der Elektromobilität muss man dann schon sehen – fahren wir elektrisch, fällt das Verbrennen von Benzin und Diesel weg. Aber die Challenge ist groß. Nur gut, dass es da Leute gibt, die zum Mars fliegen oder 500.000 Tesla in Deutschland herstellen wollen. Schauen wir auf Elon Musk.


1 Auf zum Mars

2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2020: „Tesla muss warten“

3 Statista: E-Mobilität – Teslas Vorsprung
https://de.statista.com/infografik/22551/verkaufszahlen-von-elektroautos-weltweit-nach-herstellern/

4 autozeitung.de, 4.12.2020: KBA-Zulassungszahlen (November 2020)
https://www.autozeitung.de/zulassungsstatistik-140455.html

5 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.2020: „Deutsches E-Auto-Ziel schon halb erfüllt“

6 ebd.

7 Es gibt ja schließlich auch Autoreisezüge.

8 RP-Energie-Lexikon / Kilowattstunde
https://www.energie-lexikon.info/kilowattstunde.html

9 Umweltbundesamt, 12.11.2020: Stromverbrauch
https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/stromverbrauch
Siehe Tabelle „Entwicklung des Stromverbrauchs nach Sektoren“

10 zeit.de, 20.11.2020: „Elektromobilität: Ein Masterplan für mehr Volt auf der Straße“
https://www.zeit.de/mobilitaet/2020-11/elektromobilitaet-ausbau-ladesauelen-infrastruktur-elektroautos-verkehrswende-hpc-energie/komplettansicht

11 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2021: „Brutal günstig und unvorstellbar viel“ – mehr und billigeren Strom fordert die chemische Industrie

(In der älteren Textversion habe ich mich auf diese Quelle bezogen:
wiwo.de, 14.12.2020: Deutschlands Verlangen nach Wasserstoff – kann nur Nordafrika es stillen?
https://www.wiwo.de/technologie/mobilitaet/analyse-deutschlands-verlangen-nach-wasserstoff-kann-nur-nordafrika-es-stillen/26687168.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE)

12 ndr.de, 25.09.2018: Watt? Das leisten Kraftwerke im Vergleich
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Watt-Das-leisten-die-Anlagen-im-Vergleich,watt250.html

13 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.12.2020: „Fast die Hälfte des Stroms aus Erneuerbaren“

14 No Nimby

Das obere Bild ist eine Illustration aus dem Presskit von Tesla zum Thema Autopilot.
https://www.tesla.com/presskit#modely


Das untere Bild stammt aus dem Blog unter mein-fahrradhaendler.de
https://www.mein-fahrradhaendler.de/blog/rund-ums-rad/mit-dem-fahrrad-in-der-bahn/#lg=1&slide=0

aktualisiert am 24.03.2021