Bier und Blumenkohl

Die Tschechen und ihre Lebensmittel.

Bier ist ein typisches tschechisches Produkt. In der Tschechischen Republik sind nun einige der Meinung, dieses heimische Produkt, und nicht nur dieses, müsse im Lebensmitteleinzelhandel einen besonderen Platz bekommen.

Daher hat das Abgeordnetenhaus in Prag ein Gesetz verabschiedet, das heimische Produkte bevorzugen soll. Demnach müssen in Lebensmittelgeschäften mit mehr als 400 Quadratmetern Fläche vorerst 55 Prozent, später 73 Prozent, der Produkte aus tschechischer Produktion stammen. Nicht von allen Produkten, sondern nur von 120 Produkten, darunter Eier, Milch, Käse, Honig, frisches Rind- und Schweinefleisch, nicht zu vergessen, den Blumenkohl. Manche nennen das „Lebensmittel-Nationalismus“1.

Danach sieht es auf den ersten Blick auch aus. Die Europäische Union und die Opposition im Prager Parlament sind alarmiert, weil das Gesetz gegen die Prinzipien des freien Marktes verstößt. Der ungehinderte Verkehr von Produkten im Binnenmarkt ist nun einmal ein hohes Gut. Zudem besteht, wie immer bei Handelskonflikten, die Gefahr des sich hochschaukelnden „wie Du mir, so ich Dir“. Am Ende wären hier die tschechischen Produzenten womöglich die Dummen.

Dieser Fall von versuchtem Protektionismus hätte zudem ein spezielles Geschmäckle: Einer der größten Profiteure wäre der größte tschechische Agrarkonzern Agrofert, der im Besitz des Premierministers Andrej Babiš ist. Dessen Regierungspartei ANO 2011 war für das Gesetz.

Ganz anders sähe die Sache jedoch aus, würden explizit nicht „tschechische“ Lebensmittel bevorzugt, sondern „regionale“, was die Initiatoren des Gesetzes, behandelte man sie wohlmeinend, vielleicht tatsächlich im Sinn hatten. Mal ehrlich – den Lebensmitteln regionaler Erzeuger den Vorzug zu geben, ist doch genau das, was nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten, immer ganz oben auf der Agenda steht.

Das Bundeszentrum für Ernährung, immerhin ein Behörde, listet die Vorteile des Einkaufs regionaler Produkte auf, wozu unter anderem kurze Transportwege, die Stärkung heimischer Produzenten und die Unabhängigkeit von globalen Handelsstrukturen, zählen2. In Baden-Württemberg läuft gerade eine Werbekampagne des Landwirtschaftsministeriums, die zum Kauf regionaler Produkte animieren soll3. Motto: „Natürlich. Von daheim“. Regionalität scheint also ein wichtiges Ziel zu sein. Was heißen soll, die Bauern der Umgebung und nicht die großen internationalen Discounter-Konzerne zu fördern4.

Das Problem: Der Begriff „Region“ ist nicht definiert und nicht geschützt. Daher drucken etliche Produzenten das Wort „regional“ auf ihre Produktverpackungen, um den guten Willen der Verbraucher auf ihre Mühlen zu lenken. Vielleicht hätte das tschechische Abgeordnetenhaus genau hier Pionierarbeit leisten können: durch die Definition des Begriffes. Wenn man als „Region“ einen bestimmten Umkreis definiert, ist das nicht allzu schwierig. Doch wie groß soll dieser „Umkreis“ sein? 10, 20, 40, 80 Kilometer? Im tschechischen Fall muss man berücksichtigen, dass das Land nicht besonders groß und daher die Grenze zum nächsten EU-Anrainer nicht sehr weit ist. Von Liberec in Nordböhmen sind es beispielsweise nur 25 Kilometer ins deutsche Zittau und 28 Kilometer ins polnische Bogatynia. Würden die Abgeordneten in Prag einen 30-Kilometer-Umkreis als „regional“ definieren, könnte die Milch für Liberec aus Zittau oder Bogatynia kommen. Dann ist sie zwar nicht „tschechisch“, aber dennoch regional genug.

Eine mutige Lösung des Problems wäre, den Lebensmitteleinzelhandel völlig neu zu strukturieren. In dem man nämlich die großen Discounter ganz zerschlägt5. Die Lebensmittelläden würden wieder von selbstständigen Kaufleuten geführt, die wahrscheinlich sowieso lieber in ihrer Region einkaufen. Warum sollte ein Kaufmann aus Liberec Milch in Friesland kaufen?

Ähnlich verhält es sich mit Bier und Blumenkohl. Es ist nur komplexer. Beim Bier wollen die Kunden womöglich eine größere Auswahl, vielleicht mal ein irisches oder deutsches Bier, obwohl es rund um Liberec genügend Brauereien gibt. Blumenkohl muss im Winter nicht unbedingt aus Böhmen kommen, Spanien liegt da näher.

Sollte das Prager Abgeordnetenhaus also tatsächlich im Sinn haben, regionale Lebensmittel zu fördern, ist die Herangehensweise noch nicht optimal. Aber die Idee hat Potenzial. Vor allem, wenn man damit zusätzlich die Ökologische und/oder die Solidarische Landwirtschaft fördern wollte. Der Einstieg mit nur 120 Produkten ist überschaubar, wo doch ein Supermarkt mehrere tausend Produkte im Sortiment hat. Daher sollte man das Gesetz zumindest als Denkanstoß ernst nehmen.


1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2021: „Lebensmittel-Nationalismus in Tschechien“
Landesecho, 21.01.2021: „Tschechisches Parlament beschließt Lebensmittelquote“
http://www.landesecho.cz/index.php/wirtschaft/1611-tschechisches-parlament-beschliesst-lebensmittelquote


2 BZfE, „Regional einkaufen“, abgerufen am 1.02.2021
https://www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum/orientierung-beim-einkauf/regional-einkaufen/


3 Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
https://mlr.baden-wuerttemberg.de/de/unsere-themen/landwirtschaft/regionale-landwirtschaft/kampagne-natuerlich-von-daheim/

4 Utopia.de: „12 Wege zu regionalen Lebensmitteln“
https://utopia.de/galerien/wege-regionale-lebensmittel/#1


5 Fünf große Einzelhandelskonzerne bilden in Deutschland ein marktbeherrschendes Oligopol. Man müsste darüber nachdenken,
ob das Zerschlagen dieser Konzerne im Sinne einer auf Wettbewerb basierenden Wirtschaftsordnung wäre.
Siehe auch „Danke, Discounter“.

Foto (Bier) von Sonja Maric von Pexels

Foto (Blumenkohl) von Karolina Grabowska von Pexels