Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel
findet auf dem Rücken der Bauern statt.
Doch, das geht jeden etwas an. Denn hier geht es
um das Wesentliche und ein bisschen Bauer
steckt in uns allen.
Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel: Der jüngste Akt war die Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel zur Fusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann. Das hat Widerspruch hervorgerufen, auch deswegen, weil sich der Bundeswirtschaftsminister über eine Entscheidung des Bundeskartellamtes hinweggesetzt hat, so dass man sich fragen musste, wozu es ein Kartellamt eigentlich gibt.
Die Gegenargumente waren auf Seiten der Landwirte wieder besonders gewichtig. So heißt es bei der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN1), die Fusion finde auf dem Rücken der Bauern statt. Die jetzt schon riesige Übermacht des Lebensmitteleinzelhandels gegenüber der Landwirtschaft werde noch weiter gestärkt. Der Deutsche Bauernverband (DBV2) meint, die Fusion gehe eindeutig zu Lasten der Wettbewerbssituation der Landwirtschaft.
Für den Wettbewerb soll eigentlich das Kartellamt sorgen, wobei das Kind im Lebensmitteleinzelhandel schon längst in den Brunnen gefallen ist. Schon 2011 hat das DIW Berlin festgestellt3, dass vier Handelskonzerne den Beschaffungsmarkt dominieren und die Hersteller (also Bauern, Agrar- und Ernährungswirtschaft) am kürzeren Hebel sitzen.
Am kürzeren Hebel bedeutet etwa folgendes: Vier Einkäufern (vereinfacht) der Handelskonzerne sitzen eine Vielzahl von Lebensmittelproduzenten- und verarbeitern gegenüber, unter denen die Konkurrenz groß ist. Die wenigen Abnehmer, das heißt, ein Oligopol, haben eine große Marktmacht, weil kein Produzent an ihnen vorbeikommt und seine Ware anderen anbieten kann, wenn der Preis nicht stimmt. Das DIW sieht deutliche Anzeichen für den Missbrauch dieser Marktmacht: Preisdruck, Drohungen, Zwangsrabatte. Der guten Ordnung halber muss man noch erwähnen, dass es auch auf Seiten der Ernährungswirtschaft enorm große Player gibt, die dem Druck der Handelsketten durchaus gewachsen sind.
Dennoch ist hier etwas nicht in Ordnung. Wettbewerb ist für eine Marktwirtschaft konstitutiv4. In den Volkswirtschaftsseminaren unterschied man früher die beiden Wirtschaftssysteme als vom Plan, bzw. vom Wettbewerb beherrscht. Im Lebensmitteleinzelhandel ist von Wettbewerb nicht mehr viel übrig. Sicher, die wenigen verbleibenden Händler, vor allem die Discounter, konkurrieren heftig miteinander – aber um die Gunst des Endkunden und das mit „Tiefstpreisen“ und „Schnäppchen“ bei Lebensmitteln. Sie konkurrieren nicht um die Ware, die der Bauer bietet. Bauern gibt es scheinbar genug, die scheinbar ohnehin zu viel produzieren.
Ein Zeichen eines nicht mehr funktionierenden Systems ist die Größe der Handelskonzerne, die einige zu Milliardären gemacht hat. Nichts gegen Milliardäre, doch sie sind Symptom einer außer Tritt geratenen Wirtschaftsordnung, hierzulande und in den sogenannten Schwellenländern erst recht. Für die Wirtschaft, für das Volk und die Volkswirtschaft wäre es besser, nicht einer besäße ein Vermögen von, sagen wir, 16,5 Milliarden, sondern 16.500 besäßen eine Million oder 16,5 Mio. Menschen besäßen 100.000 Euro.
Es gibt ein weiteres Merkmal, welches darauf hinweist, dass die Wirtschaftsordnung zumindest in Deutschland eher in Unordnung ist: Das ist die Bedeutung der Landwirtschaft – der Bauern. Vor Jahren gab es eine heiße Diskussion um die sogenannte „Systemrelevanz“. Am Ende waren es die Banken, welche zum systemrelevanten Teil der Wirtschaft erklärt und unterstützt wurden. Gewiss, der Tertiäre Sektor5 (Dienstleistungen) ist groß und bedeutend, ebenso der Sekundäre (Industrie), der Primäre Sektor ist jedoch betragsmäßig zur Volkswirtschaft (Umsatz und Beschäftigte) recht klein geworden.
Dennoch bleibt es der Primäre Sektor, nicht weil er als erstes da war, sondern weil er unverzichtbar ist und bleibt. Das Wesentliche, das Systemrelevante. Daran sollten auch die denken, die zwischen zwei Leveln beim Computerspiel kurz in die Chipstüte greifen.
Kartoffeln, Sie verstehen?
Ohne Kartoffeln, Brot, Mais, Reis usw. so geht es nicht und irgendwer muss aufs Feld und in den Garten. Zum Glück tun das viele gern, ja mit Leidenschaft, sogar in der Stadt (Urban Gardening, Guerilla Gardening). Zumindest hier müsste das Verständnis keimen, dass der Rücken der Bauern nicht unendlich breit ist. Sie geben auf.
Tatsächlich ist stark bedroht, was man „kleinbäuerlich“ nennt oder was in der Industrie „mittelständischer Familienbetrieb“ heißt. Der Druck des Oligopols der Lebensmitteleinzelhändler ist die Ursache dafür, dass in der Landwirtschaft industrielle Strukturen entstehen. Mit Großbetrieben, riesigen Flächen, enormem Kapitalbedarf und gigantischen Maschinen, die ungeheure Mengen6 produzieren müssen, um rentabel zu sein.
Vor einem „Höfesterben, wie wir es noch nie gesehen haben“, hat kürzlich die Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann gewarnt7. Die Ursache hierfür sieht sie im Wettbewerbsrecht und fordert, dies zu ändern. Es müsse den Handelskonzernen verboten werden, mit „Lebensmittel-Schnäppchen“ zu werben und auf dem Rücken der Bauern „einen ethisch nicht vertretbaren Preiskrieg“ auszutragen. Das Bundeskartellamt solle gestärkt werden und darauf achten, dass solche „sittenwidrige Geschäftspraktiken“ nicht vorkommen.
Das ist richtig. Denn der fehlende Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel verstößt gegen die guten Sitten in einer Marktwirtschaft.
3 DIW